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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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sich zu duzen und kamen dann wirklich auf
das Thema „Liebe“. Und jetzt erzählte er von Anne und den mehr oder weniger
großen Katastrophen davor.
    „Ich bin über kurze Episoden nie hinausgekommen“, erklärte Karin
schließlich. „Du weißt ja, wie das ist: Affäre ja — Liebe nein!“
    Nein, Chris wusste nicht, wie das ist und hatte auch keine Lust,
seinen Erfahrungsschatz in dieser Richtung zu erweitern. Das war der einzige
Wermutstropfen an diesem Abend gewesen, ein kleiner Stich irgendwo tief
drinnen, den er in Sekundenschnelle wieder verdrängte.
    So war die Zeit vergangen und sie merkten beide nicht, dass sie
irgendwann die einzigen Gäste waren, bis der Wirt sanft andeutete, er habe
einen langen Tag gehabt.
    Als er Karin vor ihrer Haustür absetzte, beugte sie sich noch einmal
in den Wagen und sagte: „Weißt du eigentlich, dass du wunderschöne Lachfalten
hast?“, ehe sie die Beifahrertür endgültig zuschlug.
    Das sind so Momente im Leben, in denen dein Gehirn wie ein Schweizer
Käse ist. Du findest den Heimweg nicht mehr, willst die Zigarette mit deinem
Hausschlüssel anzünden und partout durch den Kofferraum aussteigen.
    Er war erst wieder zu sich gekommen, als er in seinem Flur stand und
den krabbelnden Läufer zurechtschob.
    Müdigkeit hin oder her — der gestrige Abend machte ihm verdammt gute
Laune. Obwohl es keine Verabredung gegeben hatte, außer dem lockeren
Versprechen, in die Eifel zu fahren, war er euphorisch und schmetterte seiner
„Grete“ ein fröhliches „Guten Morgen“ entgegen.
    Er duschte lange und trank zu viel Kaffee gegen die Dumpfheit in
seinem Kopf. Erst dann machte er sich auf den Weg ins Büro.
    Im Autoradio dudelte irgend so ein blöder Schlager über Sonne, Strand
und Liebe. Vielleicht sollte er tatsächlich mal über Urlaub nachdenken.
Ernsthaft! Andere schlossen ihre Kanzleien schließlich auch für ein paar Wochen
im Jahr. Karin fragen, ob sie Lust auf vierzehn Tage Sonne hätte, das wär´s!
    „WDR 2. Es ist neun Uhr. Sie hören Nachrichten.“
    Gewohnheitsmäßig stellte er das Radio etwas lauter.
    Eurokrise und kein Ende. — Irgendwann hatte er einfach aufgehört, dass
zu verfolgen. EG-Außenminister-Konferenz, Gauck in Israel, alles wie gehabt. Er
war gespannt auf den Wetterbericht. Vielleicht meinte der Sonnengott es ja gut
bis zum Wochenende. Für den Ausflug in die Eifel. Mit Karin.
    „In einem unwegsamen Waldstück bei Euskirchen fanden Forstbeamte in
den frühen Morgenstunden die unbekleidete Leiche einer Frau. Die Polizei geht
von einem Sexualverbrechen aus. Nähere Einzelheiten sind noch nicht bekannt. —
Bei einem Unfall in Worringen starben zwei Motoradfahrer, die …“
    Verflucht! Wieder so ein Schwein! Seine gute Laune erhielt einen
gehörigen Dämpfer, und kalte Wut kroch in ihm hoch. Wenn der Täter überhaupt jemals
verhaftet wurde, bekam er einen guten Anwalt — hoffentlich nicht ihn — und
einen Sachverständigen, der diesem Typen Unzurechnungsfähigkeit attestierte,
irgendeine Sexualstörung. Ein paar Jahre in einer forensischen Klinik und das
war´s. Irgendwann offener Vollzug oder Ähnliches und dann war er wieder
draußen. War das etwa gerecht? Aber wieso läuft eine Frau auch mitten in der
Nacht allein durch den Wald? Er schluckte. Und wieso nicht? Wieso konnte eine
Frau sich nachts nicht ungehindert überall bewegen?
    „Tagsüber denn?“, knurrte Chris und stierte auf die rote Ampel am
Hahnentor. Die Zahl der Übergriffe, die am Tag stattfanden, stieg stetig an.
Vor ein paar Wochen erst war um die Mittagszeit eine Zwölfjährige vergewaltigt
worden. Zwölf! Mitten in der Stadt, und angeblich hatte niemand was gesehen!
    Hinter ihm brach ein Hupkonzert los. Die Ampel war längst grün
geworden.
     
    Chris verbrachte den größten Teil des Tages wie auf Wolken. Und obwohl
er sich zwischendurch Träumereien über Kieselaugen und widerspenstiges Haar
hingab, schaffte er ein Pensum wie lange nicht mehr. Leider hatte die Nixe ihn
so mit Terminen vollgepackt, dass er nicht eine Sekunde Zeit finden würde, nach
diesem Penner zu suchen, diesem Heinz Stockberger. Wie ging man überhaupt vor,
wenn man einen Obdachlosen suchte?
    Er gab der Nixe den Auftrag, die einschlägigen Sozialstationen und
Wohnheime abzutelefonieren — wahrscheinlich die einfachste Methode.
    Am Nachmittag kam die Nixe jedoch mit einem negativen Ergebnis.
Nirgendwo war ein Heinz Stockberger bekannt.
    „Hat aber wohl nicht viel zu bedeuten“, erklärte sie und

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