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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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den
Finger auf die Klingel legte, fragte er sich kurz, wie das zusammenging.
Gertrud Schmitz in diesem Viertel und ihr Bruder auf einer Bank am Ebertplatz.
    Sie war genauso, wie Klein Fritzchen sich eine Sekretärin aus den
sechziger Jahren vorstellte: Ein bisschen mollig, geblümtes Kleid, Perlenkette,
sorgfältig geschminktes Puppengesicht. Sie legte sogar züchtig die Knie
aneinander, als sie Chris in einem großzügig gestalteten Wohnzimmer gegenüber
saß. Dazu passte allerdings ihre unübersehbare Schüchternheit überhaupt nicht.
Sekretärinnen hatten kompetent und souverän zu sein. Gertrud Schmitz hingegen
war die personifizierte Unsicherheit. Ihre Nervosität strömte aus jeder Pore
ihres Körpers, war beinahe greifbar in diesem Zimmer, das wirkte wie ein
Ausstellungsraum im Möbelhaus. Die geblümten Chintzsessel, der Teppich,
Eichenschrankwand und Tisch — alles harmonierte perfekt miteinander. Es war nur
nirgendwo Leben zu entdecken. Kein aufgeschlagenes Buch, kein überflüssiger
Krimskrams, kein Stäubchen auf den polierten Hölzern.
    „Sie waren mit Inge befreundet?“, begann Chris und hoffte, so
einfühlsam wie möglich zu klingen, obwohl er sich in dieser absolut sterilen
Umgebung unwohl fühlte. Mindestens so unwohl wie die Bewohnerin dieser
Sterilität, die ihn mit flackernden Augen beobachtete und auf seine Frage hin
nur nickte.
    „Wann haben Sie Inge zum letzten Mal gesehen?“, bohrte er weiter.
    „Was wollen Sie?“, kam es schrill zurück.
    „Wissen, wer sie umgebracht hat. Wo sie die letzten Wochen vor ihrem
Tod gewesen ist!“
    Gertrud Schmitz sah ihn lange aus rot umränderten Augen an. Und jetzt
erst bemerkte er, dass das die Augen eines Menschen waren, der viel geweint
hatte in letzter Zeit. Viel zu viel.
    „Sie war hier“, sagte sie dann leise. „Hier bei mir.“
    Einen Moment lang stockte ihm der Atem. So einfach war das also. So
beschissen einfach.
    „Die ganze Zeit?“ Seine Stimme klang rau vor nervöser Erwartung.
    „Eine Nacht war sie mal weg.“
    „Von wann bis wann genau war sie hier?“
    „Sie … sie ist an einem Sonntag gekommen“, antwortete sein Gegenüber
so leise, dass Chris Mühe hatte, sie zu verstehen. „Am 22. April, um genau zu
sein. Sie hätte sich mit dieser Tönnessen zerstritten, sagte sie. Sie hatte
zwei Koffer dabei und wollte eine Weile bleiben. Ich … ich hätte ihr das doch
nie abschlagen können.“ Schmitz schaute ihn mit einem flehenden Blick an. „Sie
hat doch … für Heinz … gesorgt.“
    Plötzlich glaubte er zu verstehen. „Haben Sie auch für Heinz
gesorgt?“, fragte er deshalb.
    Chris erntete ein heftiges Kopfschütteln. „Nein, nein! Ich hätte …
hätte mich nie getraut … Aber Inge machte es … nichts aus.“
    „Aber ein Teil des Geldes für Heinz ist von Ihnen gekommen?“
    Sie nickte und brach unvermittelt in Tränen aus. Chris bemühte sich,
gelassen zu bleiben. Er hatte jetzt eine ungefähre Vorstellung davon, was de
Stang mit „Musst ´n bisschen Jeduld mit ihr haben“ gemeint hatte.
    Nach einer Weile schnäuzte sie sich geräuschvoll in ein Tempo. „Er hat
mir immer so Leid getan“, erzählte sie dann weiter. „Aber ich habe nie
verstanden, warum er … Ich habe ihm tausend Mal angeboten, hier zu wohnen.“
    Was mochte schlimmer sein, überlegte Chris. Mit dieser Frau in einem
Möbelkatalog zu leben, oder auf Platte. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht
los, dass Stockberger das kleinere Übel gewählt hatte.
    „Die Nacht, in der sie nicht hier war, wann war das?“
    „Ich … ich weiß nicht mehr. Ein paar Tage nach dem 22.“
    Chris kramte in seinem Gedächtnis. Karin hatte gesagt, Inge wäre am
25. oder 26. bei ihr gewesen. Das käme also hin.
    „Wann haben Sie Inge das letzte Mal gesehen?“
    „Mittwoch!“, kam es wie aus der Pistole geschossen. „Mittwoch, bevor
sie … Sie schien sich auf was zu freuen. Sie hat gesagt, jetzt würde sie
endlich das dicke Geld bekommen, hat ihre Koffer gepackt und …“ Ein erneuter
Tränenausbruch verschluckte den Rest des Satzes.
    „Frau Schmitz“, begann er und zwang sich zur Ruhe. „Sie wissen, was
mit Inge passiert ist, aus der Zeitung oder sonst wo her. Wieso sind Sie nicht
zur Polizei gegangen?“
    „Aber das konnte ich doch nicht!“ Ihre Empörung ließ die Tränen
versiegen. „Sie hatte mir doch gesagt …“ Unvermittelt brach sie ab und biss
sich auf die Lippen.
    „Was hat sie Ihnen gesagt?“
    Schmitz schlug die Augen nieder. „Sie hat gesagt,

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