Fehlschuss
laufen
müssen. Zum einen war immer noch ein persönliches Motiv nicht auszuschließen.
Also würde man weiter nach einem durchgeknallten Freier oder dem Liebhaber von
Inge suchen. Zum anderen mussten sie jetzt aber auch organisiertes Verbrechen
und beauftragte Killer in ihre Überlegungen einbeziehen.
Im Büro jagte Chris die Liste durch den Kopierer und rief
währenddessen im Präsidium an, um sicher zu sein, dass Susanne dort war.
Anschließend ließ er die kopierten Seiten in den Tiefen seines Sakkos
verschwinden. — Man konnte nie wissen!
Und dann hatte er eine brillante Idee! Seiner Meinung nach jedenfalls.
Als er im Präsidium ankam, lag ein glückliches, erwartungsvolles
Lächeln auf seinen Lippen. Inges Kundenliste hatte ihren Preis! Und Chris hatte
ihn festgesetzt! Er war so begeistert von seinem Einfall, dass er, immer zwei
Stufen auf einmal nehmend, die Etagen nach oben hetzte.
Wie üblich wippte Susanne auf ihrem Stuhl, und er fragte sich zum
wiederholten Mal, wie lange es noch dauern würde, bis er endgültig aus dem Leim
ging. Jedenfalls knackte er schon seit Ewigkeiten verdächtig.
Irritiert sah er auf Hellweins Platz, der aufgeräumt wie selten war.
Nur wenige rote Aktendeckel waren zu einem sauberen Stapel aufgeschichtet, und
die Stifte steckten alle in der dafür vorgesehenen Holzbox. Sogar die
Ablagekörbchen waren beinahe leer.
„Hast du ihn auf ein Seminar für Büroorganisation geschickt?“, fragte
er und deutete mit dem Kopf auf den Schreibtisch von Hellwein.
Susanne murmelte nur etwas Unverständliches. Ihre Laune schien von der
übelsten Sorte zu sein. Und Chris war sich völlig im Klaren darüber, dass er
sie gleich noch mehr aufbringen würde.
„Was Neues?“, fragte er deshalb betont gelassen, nachdem er sich auf
der anderen Seite des Tisches niedergelassen hatte. Bloß nicht mit der Tür ins
Haus fallen.
„Neues?“ Die Kommissarin spuckte das Wort förmlich aus. Sie beugte
sich weit über den Schreibtisch und stützte ihre mageren Arme auf. „Neues! Oh
ja: Es gibt jetzt eine SOKO Lautmann. Mit sage und schreibe acht Leuten! Acht!
Für jede scheiß Beziehungstat krieg ich mehr Mitarbeiter! Wenn die so
weitermachen mit Sparmaßnahmen und Budgetierungen, bleiben irgendwann Hellwein
und ich allein übrig für jeden einzelnen Todesfall in dieser beschissenen
Stadt. Acht Leute! Allesamt immer noch beschäftigt mit Befragungen sämtlicher
Zeugen, die Lautmann oder Tönnessen kannten.
Wir haben sogar ein paar Mädchen ausfindig gemacht, die für Tönnessen
gearbeitet haben. Sie erzählen viel, oh ja! Ich bin jetzt Expertin für
Sado-Maso in jeglicher Form. Auf kleine Brettchen genagelte Hoden; Peitschen
mit Eisenkugeln an den Enden; Ehefrauen, die sich die Brustwarzen versengen
lassen, währenddessen die Mädels dem Ehegespons einen blasen. Willst du noch
mehr?“
Sie erwartete offensichtlich keine Antwort, hatte sich regelrecht in
Rage geredet. „Verdammt! Sie quatschen dich tot mit dem Zeug! Nur mit Namen
gehen sie äußerst sparsam um. Sie behaupten, die wirklich dicken Fische hätte
sowieso nur Lautmann bekommen!“
„VICLAS?“, fragte Chris dazwischen, um Susanne von dem Thema
abzubringen, sie vielleicht in Bahnen zu lenken, die sie ruhiger angehen
konnte. Denn VICLAS könnte wirklich eine Chance sein. In das Computerprogramm
flossen bei jedem Mord oder Sexualdelikt die Auswertungen von mehr als
hundertfünfzig Standardfragen ein und wurden dort analysiert. Die Profiler des
LKA suchten dann nach vergleichbaren Handlungsmustern, einer „Handschrift“, die
der Täter hinterließ.
„VICLAS!“, schnaubte Susanne. Mit fahrigen Bewegungen begann sie, die
Ärmel ihrer Jeansbluse hochzukrempeln. „Es gibt kein eindeutiges
Handlungsmuster. Einmal haben wir Schläge, Tritte, Brandwunden. Das andere Mal
einen zerschnittenen Körper und eine brutale Exekution. Das reicht nicht, um
ein klares Bild zu liefern. Oder anders gesagt: Es gibt zu viele, die auf die
eine oder andere Weise sadistisch handeln, was eine vernünftige Eingrenzung
unmöglich macht. Sagen jedenfalls die Spezialisten.
Wenigstens haben wir jetzt eine Analyse der Haare. Die auf Lautmanns
Kleidung wie auch die im Wagen von Tönnessen sind identisch. In unserer
Gendatenbank haben wir zwar kein Gegenstück dafür, zumindest aber können wir
damit eine eindeutige Identifizierung vornehmen. — Wenn wir den Kerl irgendwann
kriegen! Das beweist natürlich noch gar nichts. Wir wissen, dass es ein Mann
war und wir
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