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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Tabunowa
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Gewässern fast immer ertrinken, wenn sie Krämpfe bekommen. Früher hatte ich gedacht, was ist schon dabei, da hat man einen Krampfim Bein, aber die Hände sind doch frei und es gibt noch ein zweites Bein.
    Falls ich mal in einem See einen Wadenkrampf bekommen sollte, dann wird man mich nicht wiedersehen, das steht fest.
    Lag es vielleicht daran, dass mich der Krampf im Schlaf überraschte, dass ich laut losschrie? Ich weiß es nicht. Katja und Oleg, die angerannt kamen, sahen mich mit einem verzerrten Gesicht, das Knie an die Brust gepresst und unfähig, auch nur ein Wort zu sagen.
    Â»Ira, was ist los? Ist das die Geburt? Nein? Doch? Sag doch was!«
    Ich konnte nichts sagen, ich krächzte nur und massierte das Bein, das mir nicht gehorchen wollte. Schließlich presste ich doch noch ein paar Worte hervor, als Oleg bereits die Adresse durchgab, zu der die Rettungskutsche kommen sollte.
    Nach diesem Vorfall ruhte ich mich drei Tage im Bett aus. In diesen Tagen nahm ich drei Kilo zu und ging von da an watschelnd wie ein Königspinguin.
    Â 
    Als ich noch nicht schwanger war, hatte ich einmal einen Verehrer. Ich erinnere mich an einen Satz, den er fallen ließ. Wir saßen gerade in einem Café und er hielt meine Hand, betrachtete meine Finger und bog sie mal zum Handrücken, mal zur Innenseite.
    Â»Was für ein zartes Handgelenk du hast, Ira … Ich könnte es dir mit einer Hand brechen.«
    Dasselbe Gefühl überkam mich auch immer, wenn ich im Fernsehen pummelige Babys in ihrer völligen Hilflosigkeit sah.
    Es ist ziemlich schwierig, einem Baby etwas zu brechen,weil es von allen Seiten mit einer Fettschicht bedeckt ist. Deswegen bekommen kleine Kinder keine zwanzig Gehirnerschütterungen im Monat, wenn sie Laufen lernen. Das Fett rettet sie.
    Dasselbe trifft auf schwangere Frauen zu. Schließlich wächst während der Schwangerschaft nicht nur der Bauch. Das Baby sitzt überall: vom Knie bis zum Knöchel, von der Brust bis zum Gehirn. Fett und Wasser unter der Haut schützen die Schwangere vor äußeren Gefahren und Unfällen.
    Wenn man das auf das Leben von Erwachsenen generell überträgt, so nehmen viele nichtschwangere Menschen nicht wegen der vielen Fresserei zu, sondern um ihr Innerstes zu schützen. Es ist die Reaktion ihres Körpers auf Stress, wobei Mechanismen in Gang gesetzt werden, die der Organismus aus der Kleinkindphase kennt. Das Leben schlägt auf mich ein? Ich falle, stolpere? Ich hole mir Beulen und blaue Flecke? Also muss ich mich schleunigst mit einer Fettschicht überziehen, damit es mir beim nächsten Mal nicht so wehtut, wenn ich hinplumpse.
    Wenn also ein unglücklicher Mensch aufhört zu essen, dann ist das ein Signal des Organismus: »Es reicht, basta, ich will jung sterben!«
    So gesehen ist Fett gar nicht mal so schlecht.
    Schlecht war etwas anderes – Oleg und Katja fuhren am Ende des Monats nach Ägypten, um sich die Sonne auf den Pelz brennen zu lassen. In ihre Wohnung zog eine Verwandte aus Lipezk.
    Â 
    Geld hatte ich nach wie vor keines.
    Mein Freund Ljoscha, mit dem ich eigentlich verabredet hatte, für seine Website über wilde Tiere zuschreiben, zog die Sache immer noch in die Länge. Dennoch hatte er mir keine endgültige Absage erteilt. Das wäre auch noch schöner gewesen … Ich war eine werdende, alleinerziehende Mutter. Ein einsamer Fruchtknoten ohne Stempel. Eine hilflose, verlorene und zitternde Seele. Ein verletztes Glied der Gesellschaft. Alle mussten Mitleid mit mir haben. Mich trösten, mir helfen, mich retten. Wer mir das versagte, galt als hartherzige, verachtungswürdige Person.
    Schließlich sagte Ljoscha bei einem meiner Anrufe:
    Â»Ira, gut, dass du anrufst, mein Fischlein.«
    Â»Ein Fischlein mit Kaviar.«
    Â»Also noch wertvoller! Was für Kaviar hast du denn, roten oder sogar schwarzen?«
    Â»Ich habe weißen Hechtkaviar.«
    Â»Mein gefilltes Fischlein!«
    Â»Was ist nun, Ljoscha, hast du Arbeit? Ich brauche dringend Geld.«
    Â»Ich bin noch gar nicht richtig bei Sinnen, ich trinke gerade Mineralwasser …«
    Â»Mineralwasser?«
    Â»Also, eigentlich ist es Cabernet. Aber was macht das für einen Unterschied? Das Wichtigste ist, dass heute ein bedeutender Tag ist. Das Projekt wurde bestätigt. Hurra!«
    Â»Ich gratuliere dir, Ljoscha, wie ist es denn gelaufen?«
    Â»Wie immer, total

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