Fehlt noch ein Baum
Willen mit Hilfe von Tränen und Schreien durchzusetzen.
Daraus kann man den Schluss ziehen: ein ruhiges, ausgeglichenes Verhalten ist nicht die Norm, sondern die Ãberwindung der menschlichen Natur.
Hysterisch zu sein ist normal â¦
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24. Januar 2004
Secondhandfood
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Gestern war ich mit meiner Schwester im Supermarkt. Sie kaufte sich eine Feinstrumpfhose der Marke
Klinskije
und ich eine Waschlotion Grapefruit/Birke. Für Vera nahmen wir Kekse der Marke
Ostankinskije
mit. Das sind diese kleinen harten Gebäckringe.
Vera knabbert sehr gern mit ihren drei Zähnen darauf herum. Aber sie schafft es nicht, sie durchzukauen. Deswegen legen wir den von Speichel durchweichten Keks auf den Heizkörper. Er wird wieder hart, aber dann kommen Veras Zähne durch.
Eine Packung reicht also für eine ganze Weile.
Das ist Recycling von Lebensmitteln. Secondhandfood. Die reinste Ãkonomie.
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25. Januar 2004
Von der Stimme
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Ich mache nicht gern Interviews. Nicht, weil ich ein Misanthrop bin, obwohl auch das eine Rolle spielt.
Man fragt mich oft, Ira, wie kannst du mit deiner misanthropischen und missmutigen Einstellung überhaupt Journalistin sein?
Ja, ich bin ein ungeselliger Mensch, ich bin unfreundlichund schlecht erzogen. Ja und? Die Hälfte aller Journalisten ist so. Im Volk kursiert der Mythos von den geselligen, gesprächigen Korrespondenten. Fix und immer in der Lage, zu jedem beliebigen Thema einen Tag lang ununterbrochen zu plappern.
Unfug. Meistens sind Journalisten missmutige, komplexbeladene, übermäÃig reflektierende und ständig an sich und der Welt zweifelnde Langweiler. Mit finsterer Miene sitzen sie auf Pressekonferenzen und warten, wann der Quatsch endlich vorbei sein möge und sie endlich ans Büfett gerufen werden.
Doch warum mache ich nicht gern Interviews? Weil man sie hinterher vom Tonband abschreiben muss. Wenn man seine eigene Stimme hört, kann man für immer den Glauben in die Menschheit verlieren. Jedes Mal nehme ich mir vor, endlich eine Sprecherausbildung zu absolvieren.
Warum ich das hier anführe? Weil ich eine meiner Ideen zu Veras Förderung deswegen nicht verwirklichen konnte.
Es ist schlieÃlich allgemein bekannt, dass die Stimme der Mutter diejenige ist, die das Kind am liebsten hört. Also dachte ich, es wäre nicht schlecht, all die Kinderverse und Scherze auf Kassette aufzunehmen und sie Vera anstelle von gekauften CD s hören zu lassen. Das Kind entwickelt sich dadurch und hört die Stimme seiner Mutter. Ich fand das eine tolle Idee.
Aber als ich mir dann nur fünf Minuten meine Aufzeichnung auf Kassette angehört hatte, bekam ich einen Brechreiz. Nun muss ich also normale CD s kaufen.
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27. Januar 2004
Kostenloses Mitleid
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Die Nachbarin war kurz hier, weil sie Salz brauchte. Da sah sie mich, in der einen Hand einen Löffel mit Babybrei, in der anderen die Rohfassung eines Artikels, den ich gerade schreibe. Sie schüttelte den Kopf. »Du Arme, musst dich ganz allein durchschlagen!«
Das Mitleid hängt mir zum Hals raus. Als ob ich es brauchen würde. Man sollte mir besser Geld geben. Für ein einfaches Mitleid â hundert Rubel. Für ein mehrfaches Mitleid gibt es dreiÃig Prozent Rabatt. Man kann auch eine Zehnerkarte erwerben. Das macht dann nur siebenhundert Rubel â total billig! Wieso wollen mich alle kostenlos bemitleiden? Für sein Vergnügen muss man zahlen.
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31. Januar 2004
Kinder sind wie Zigaretten
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Viele Leute, die anfangen zu rauchen, tun dies aus kommunikativem Antrieb. Die Zigarette ist für sie ein Symbol für Verständigung.
Für sehr viele Menschen hat das Thema Kinder etwas Verbindendes. Und so ist es auch mit sehr vielen Leuten, die Kinder haben, einfacher, ins Gespräch zu kommen, wenn man anfängt, über Babykram zu reden.
Kinder sind wie Zigaretten ein Hilfsmittel zur Verständigung.
Und auÃerdem gleichen Kinder Zigaretten auch darin, dass man sich leicht an sie gewöhnt, sie aber kaum loswerden kann.
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31. Januar 2004
Warum langweilen sich Männer mit kleinen Kindern?
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Ich habe schon oft von Männern gehört, dass sie sich mit kleinen Kindern langweilen. Sowohl mit fremden als auch mit den eigenen. Nach dem Motto: »Wenn du groà bist, mein Sohn, dann spielen wir beide FuÃball.« Oder: »Wenn du sprechen kannst, meine Tochter, dann werden wir philosophische Gespräche
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