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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Tabunowa
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du wirklich nur Cabernet? Wer hat mich denn noch vor fünf Minuten einen gefillten Fischgenannt? Es sind noch zwei Monate. Ich könnte das Publikum nur durch plötzliche Krämpfe in Verwirrung stürzen. Nach dem Erlebnis mit Borja wird dir das ja wohl nichts ausmachen?«
    Â»Nein, aber …«
    Â»Im Gegenteil, dadurch kannst du dich vor Adrian rehabilitieren. Gehen wir zusammen hin, ja?«
    Â»Weißt du, Ira, wir lassen das besser. Bleib du zu Hause und ich schicke dir die Texte zur Überarbeitung per Mail.«
    Ljoscha hat mir keinen einzigen Text geschickt.
    Â 
    Bevor ich die Wohnung von Veras Vater stürmen wollte, um ihn auszurauben, rief ich dort an. Vor Aufregung zitterten meine Hände und das Kind zappelte in meinem Bauch. Vielleicht musste ich ja auch nicht stehlen, vielleicht würde er sagen: »Ira, lass uns alles vergessen. Komm zurück.« Oder etwas in der Art. Vielleicht würde dann alles licht und leicht werden und dieser Idiotismus würde aufhören. Nach dem dritten Klingeln nahm eine Frau ab. Sie zischte dermaßen ins Telefon, dass ihre Sätze kaum auseinanderzuhalten waren.
    Â»Ich kann ihn nicht ans Telefon holen, wir schlafen.«
    Â»Dann wecken Sie ihn. Sagen Sie, dass Ira am Telefon ist.«
    Â»Ich werde ihn nicht wecken, rufen Sie später noch mal an.«
    Â»Fräulein, ich weiß nicht, wie Sie heißen, aber wecken Sie ihn!«
    Warum wollte ich Veras Vater unbedingt aufwecken? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich war ich geschockt, dass er so schnell einen Ersatz für mich gefunden hatte.
    Â»Hallo, Ira, bist du das?«
    Â»Ja.«
    Â»Warum rufst du an?«
    Â»Einfach so. Ich wollte wissen, wie es dir geht.«
    Â»Scheiß drauf. Ruf mich abends an.«
    Â»Ich kann heute Abend nicht, ich will jetzt.«
    Â»Ist mir doch egal, was du willst. Ich schulde dir nichts, merk dir das. Nichts, hörst du?«
    Ich saß noch eine Weile da, aus dem Hörer in meiner Hand tönte ein kurzes Tuten.
    Ich wollte am nächsten Tag wieder anrufen, in der Hoffnung, er würde dann nicht zu Hause sein. Aber auch am nächsten Tag war die Wohnung nicht leer. Veras Vater selbst ging ans Telefon.
    Â»Entschuldige, gestern war es ungünstig. Aber du bist selbst schuld, morgens bin ich zu nichts zu gebrauchen, das weißt du genau.«
    Â»Das weiß ich. Weswegen ich anrufe, schmeiß meine Bücher nicht weg, sobald ich entbunden habe, will ich sie abholen.«
    Â»Natürlich schmeiße ich sie nicht weg. Sie warten hier auf dich … Wie geht es dir, Kleine?«
    Es gibt Männer, die es lieben, eine Frau zu beißen und dann das Gift selbst aus der Wunde zu saugen. Als ob es dadurch zu Ambrosia würde. Veras Vater war einer von ihnen. Vielleicht hätte ich mich in diesem Moment zu seinen Füßen werfen und ihn bitten sollen, zurückkommen zu dürfen, ich weiß nicht …
    Â»Ja, alles gut, Ende Mai entbinde ich. Danach ziehe ich wahrscheinlich zu meinen Eltern. Ich werde vorgeben, dass ich die Hilfe meiner Mutter brauche, und ihnen später erst erzählen, dass aus uns nichts geworden ist. Ich möchte, dass sie sich erst mal an meine Anwesenheit gewöhnen.«
    Â»Das ist eine tolle Idee. Ira, sei mir nicht böse. Vielleicht heiraten wir sogar noch, meine Eva. Ich denke oft an dich.«
    Â»Danke, ich auch an dich.«
    Â»Was meinst du, wann werden wir heiraten, meine kleine Eva, he?«
    Â»Irgendwann … Bevor wir in einen Bunker gehen und eine Zyankalikapsel schlucken.«
    Schwungvoll schmiss ich den Hörer auf die Gabel. Ich verspürte eine gewisse Erleichterung, nein, es war eher das Gefühl der Vollendung und des Abschlusses.
    Erst eine Woche später kam ich in seine Wohnung, während er weg war. Über gemeinsame Freunde hatte ich erfahren, dass er nach Sankt Petersburg zu einem Lyrikabend gefahren war.
    Der Code an der Haustür war ausgewechselt worden, also musste ich den Hausmeister bitten, mir zu öffnen. Er sah mich misstrauisch an, erinnerte sich dann aber wohl an mein Gesicht und öffnete mir.
    Es ist einigermaßen seltsam, heimlich eine Wohnung zu betreten, die einem mal viel bedeutet hat. Seine Sachen zu sehen, die man zurückgelassen hat. Die Möbel, die andere umgestellt haben. Mein ehemaliges Nest, gebaut am Rande einer Schlucht. Mein Heim. Aber nein, diese Wohnung war nicht mehr mein Heim: auf dem Zeitungstisch stand ein Aschenbecher, der

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