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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Tabunowa
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Interessantes oder Nützliches erfahren kann. Ich habe bereits mit ihnen gesprochen. Da sind keine nützlichen Informationen zu holen. Ich sehe auch keine Notwendigkeit. Ich kann lesen und habe einen Internetanschluss. Google wird mir schon weiterhelfen.
    Ãœberhaupt kann ich gute Ratschläge, um die ich nicht gebeten hatte, nicht ausstehen. Ich bin Journalistin.Mein Beruf besteht genau darin, dass ich das Leben studiere (ganz einfach ausgedrückt), und wer sonst kann besser den Wert der meisten kostenlosen Ratschläge einschätzen.
    Worüber soll ich mich also mit ihnen unterhalten? Was können sie mir schon mitteilen? Überhaupt habe ich den Eindruck, dass sie sich in meiner Gegenwart unwohl fühlen. Allein dieser weit verbreitete Satz spricht für sich: »Das hast du prima gemacht, Ira, das Kind allein zur Welt zu bringen, ohne diese Kerle ist es einfacher.« Natürlich schicke ich sie für solche Äußerungen gedanklich zum Teufel. Aber nach außen lächle ich und denke darüber nach, in welche Gasse ich mich vor ihnen verdrücken kann.
    Allerdings weiß ich nicht, wie ich mich aus der Affäre ziehen soll, wenn Vera das Alter erreicht, in dem sie Freundinnen braucht. Höchstwahrscheinlich werde ich sie in einen Kindergarten geben.
    Meine kinderlosen Freundinnen hingegen halten mich für eine Apologetin der Mutterschaft. Zu ihrer Gemeinschaft gehöre ich auch nicht mehr, und das wird eine ganze Weile so bleiben. Denn sie verstehen mich nicht. Meine große Mission …
    Und so hänge ich zwischen Himmel und Erde und bin völlig amorph.
    Als Kompensation für die Spaziergänge durch den Park schiebe ich Vera auf den Balkon. Dann hole ich sie vom Balkon und fahre sie auf dem Bürostuhl durch den Flur. Meiner Tochter gefällt das.
    Â 
    11. Januar 2004
Metamorphosen
    Â 
    Ich wollte meine Tochter in bester literarischer Tradition erziehen. Ich wollte ihr Puschkin und Derschawin vorlesen, Tolstoi und Dostojewski. Die Dichter des Silbernen Zeitalters, des Eisernen und auch die des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich wollte sie anhalten, die Säulen des Postmodernismus zu studieren: Kafka, Joyce, Proust …
    Und was ist dabei herausgekommen? Tagelang singe ich mit Vera
Eiapopeia
und
Die diebische Elster
. Und das auch nur im günstigsten Fall! Meistens passe ich mich der Sprache meiner Tochter an und spreche ihr nach: »Ahu«, »abubu«, »adjadja«, »anananaj«, was Vera maßlos freut.
    Welimir Chlebnikow ist nichts dagegen …
    Â 
    19. Januar 2004
Krabbeln lernen
    Â 
    Meine Tochter will immer noch nicht krabbeln. Praktisch läuft sie schon, steht und hält sich dabei am Sofarand fest, aber krabbeln will sie gar nicht.
    Mein Vater hält Vera immer wieder dazu an, es zu probieren, aber Vera greint nur und stößt die Nase auf den Fußboden.
    Ein Gespräch meines Vaters und meiner Schwester:
    Â»Man muss Vera das Krabbeln beibringen, das trägt sehr zur Entwicklung bei.«
    Â»Nun ja …«
    Â»Wenn sie etwas trinken will, muss man ihr das Fläschchen in anderthalb Metern Entfernung vor dieNase stellen – dann soll sie sich mal anstrengen und hinkriechen.«
    Â»Ja! Und wenn du mal wieder einen Katerschluck brauchst, dann stellen wir ein Glas Wodka in anderthalb Meter Entfernung vor dir auf und sagen: ›Los!‹«
    Â 
    20. Januar 2004
Über die Erziehung
    Â 
    Heute habe ich einen bekannten Kameramann und Regisseur interviewt. Er erzählte mir, er habe seit der sechsten Klasse nur noch fürs Fernsehen geschwärmt und für alles, was damit zu tun hat. Und sein Onkel, ein Fernsehmonteur, habe ihn dabei unterstützt.
    Davor hatte ich ein Interview mit einem nicht weniger ehrwürdigen Regisseur, der mir sagte, dass er vor seinem sechzehnten Lebensjahr überhaupt nie einen Fernseher gesehen habe, was an den Erziehungsmethoden seiner Eltern lag.
    Welchen Schluss kann man daraus ziehen?
    Man kann seinem Kind hellblaue Strumpfhosen verweigern oder nicht, es wird ein Spiderman, wenn es dazu geboren ist.
    Â 
    21. Januar 2004
Vom Schreien
    Â 
    Wenn es Vera schlecht geht, ihr etwas nicht passt, sie hungrig ist oder Langeweile hat, reagiert sie immer auf die gleiche Weise – sie schreit. Je schlechter es ihr geht, um so lauter ist das Geschrei. Ich denke, dass das nicht nur ihre Taktik ist.
    Die Natur hat es so eingerichtet, dass der Menschvon Geburt an versucht, seinen

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