Fehlt noch ein Baum
Ksjuscha und ich im heiÃgeliebten Kinderkaufhaus an der Lubjanka an. Dort überkam mich ein weiterer Anfall von Kinderhass.
Er hatte einen purpurnen, feinen Mund. Seine lasterhaften Lippen schlängelten sich zu einem wollüstigen Lächeln. Auf dem Kopf trug er eine purpurrote Zwergenmütze. Eigentlich bestand er nur aus diesem Kopf. Seine Hautfarbe war radikal grün, so wie die allercoolsten Schnürsenkel in der Zeit nach der Perestroika. Zu allem Ãberfluss war er mit irgendeinem quietschenden Schaumstoff gefüllt. An seiner Seite stand: Made in China.
Ausgerechnet dieses Spielzeug in Gestalt eines unzüchtigen Halbmondes hatte sich die fünfjährige Ksjuscha als Geschenk ausgesucht.
Früher dachte ich, Kinder hätten keinen Geschmack. Ich hatte mich zutiefst geirrt. Kinder haben Geschmack, aber wir können ihn nicht begreifen. Man kann lediglich feststellen, dass es grundsätzlich das hässlichste, abstoÃendste und das am dümmsten quakende Geschenk in einem Laden ist, das bei einem Kind Begeisterungsstürmeauslöst. Was sollen ein Malkasten
Junger Künstler
und ein Plüschbär mit rosa Höschen? Wo denken Sie hin? Her mit der Cyborg-Figur mit der violetten sechsfingrigen Hand.
Soviel zur Ãsthetik. Und was ist mit dem Essen? Eines Tages probierte ich meine eigene Muttermilch ⦠Das hätte ich besser gelassen. Und was ist mit den ungesalzenen Breis mit Vitaminzusätzen? Den Fleischpasteten mit Einsprengseln von Möhren und ausgekochten Zwiebeln? Grauenvoll.
Und so ist es mit allem: der Kleidung, den Angewohnheiten, den Interessen, den Fortbewegungsarten ⦠Zwischen Kindern und Eltern klafft ein riesiger kultureller Abgrund. Inna nahm den Kauf dieses grässlichen Spielzeugs mehr als gelassen auf.
»Ach, was will man da erwarten, ihr Vater hat sich nie durch besonderen Kunstgeschmack hervorgetan. Und sie ist eine Kopie von ihm. Ich erinnere mich noch daran, wie er zu unserer Hochzeit in einem gestreiften Anzug kam ⦠Ja, ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«
»Sag das bloà nicht â¦Â«
»Du wolltest dir doch ein Schwangerschaftskleid kaufen, hast du was gefunden?«
»Lieber mache ich mir noch mal die Hosen weiter, aber keinesfalls kaufe ich mir so einen Kartoffelsack für fünftausend Rubel.«
»Ja, diese Läden sind schlimm. Was ist, gehen wir mit den Kindern auf den Spielplatz?«
»Lass uns gehen.«
Spielplatz war hier nur ein leeres Wort. Es gab dort lediglich einen Buddelkasten und mehrere Bänke. Er glich einer Partylounge für disziplinierte Eltern.
Inna war in ein Gespräch mit einer Bekannten vertieft,die sie dort getroffen hatte. Ihr kleiner Dima spielte mit seiner Sandburg. Er trug einen gepolsterten Overall und sah aus wie ein kleiner Kosmonaut.
Dazu ist zu sagen, dass Innas Sohn ein supergesprächiges und offenes Kind war. Und genau das war der Grund dafür, dass Dima beim Anblick eines Kosmonautenmädchens seines Alters auf sie zuging, seine Arme ausbreitete und versuchte, sie zu umarmen. Dieser unverhohlene Gefühlsausdruck kam für das Mädchen offensichtlich unerwartet, und von der Heftigkeit der Umarmung und vor Erstaunen fiel sie auf ihren Po und Dima auf sie.
Sofort kam die Mutter des Mädchens angerannt, packte Dima bei der Hand und schleuderte ihn mit voller Kraft von ihrer Tochter weg. Dima flog anderthalb Meter durch die Luft und prallte mit dem Rücken an eine Blechgaragenwand. Weiter ging alles in bester Kampffilm-Tradition. Inna rannte, ohne nachzudenken, auf die Mutter zu, die im Hocken ihre Tochter abklopfte, und versetzte ihr mit voller Wucht einen Tritt in den Hintern. Die arme Mutter packte ihren Nachwuchs und rannte vom Spielplatz. Wahrscheinlich glaubte sie, auf eine Killerfamilie gestoÃen zu sein.
Ich dachte die ganze Zeit: Was hätte ich in diesem Fall getan? Hätte ich der Mutter eins auf die Zwölf gegeben oder wäre ich davonstolziert? Und wenn ich physischen Widerstand geleistet hätte, wie wäre das mit meinen schwankenden christlichen Prinzipien vereinbar gewesen?
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Ich rief Katja an, die aus Ãgypten zurückgekehrt war. Katja studierte an der Psychologischen Fakultät, die musste es wissen.
»Wie soll man sich in dieser konkreten Situation verhalten? Was sagt die Psychologie dazu?«
»Die Psychologie gibt keine Ratschläge. Ein kundiger Psychologe führt den Menschen zum richtigen
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