Fehltritt Im Siebengebirge
fühlte, vermochte das Spiel in die Kategorie des »do ut des« einzuordnen. Mit der deutschen Formel »Eine Hand wäscht die andere« ließen sich die Zusammenhänge nicht subtil genug wiedergeben. Clevere Ehefrauen waren sich ihrer gesellschaftlichen Treibriemenfunktion durchaus bewußt, ohne daß sie jemals von der sozialistischen Transmissionslehre gehört hätten.
In der Dornenburg am Venusberg, diesem bizarren Gemäuer aus den Gründerjahren war das Ministerium mit einigen hundert Bediensteten untergebracht. Der Minister genoß nicht nur den Blick in das Rheintal, sondern auch die Anwesenheit von zwei Damen der dienenden Spitzenklasse. Er hatte seine scheidende persönliche Referentin Hedwig Bessener und ihre Nachfolgerin Carla Steiner zu sich gebeten, um die Überleitung der Dienstgeschäfte zu besprechen. Er hatte mit weiblichen Mitarbeiterinnen bessere Erfahrungen gemacht als mancher Kollege, denen karrieresüchtige Parteimännchen zugeschoben worden waren.
Hedwig Bessener würde in den nächsten Tagen auf eigenen Wunsch ein nicht so bedeutendes Fachreferat übernehmen, weil sie im persönlichen Bereich einige Nackenschläge erlitten hatte und sich in der Chefetage nicht mehr wohl fühlte. Carla Steiner war in einem anderen Ministerium zu einer ausgezeichneten zweiten Kraft herangereift, der nur darum der weitere Schritt nach oben verwehrt geblieben war, weil ihre Kollegin über die besseren persönlichen Bindungen verfügte. Nun hatte der Ressortwechsel für Carla Steiner eine Spitzenfunktion im Leitungsbereich an der Seite eines Ministers eröffnet, der Macht und Ansehen genoß.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir ein Wochenende opfern, um dienstliche Angelegenheiten zu erledigen«, sagte der Minister artig. »Während der Dienstzeit herrscht zuviel Betrieb, da hat man kaum Gelegenheit, sich persönlich näher kennenzulernen. Diese Kenntnis und das Aufeinandereingehen ist eine unerläßliche Voraussetzung für die Arbeit einer persönlichen Referentin.«
»Davon bin ich ganz und gar überzeugt«, bestätigte Carla Steiner mit einem dezenten Augenaufschlag. »Sie können jederzeit über mich verfügen, Herr Minister.«
»Ja, ja, sehr gut. Ich habe es nicht anders erwartet«, bekundete dieser und fügte als Lehrsatz aus der Geschichte hinzu: »›Wer auf die preußische Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selber gehört‹ – oder so ähnlich. Das gilt auch für Damen im Leitungsbereich. Aber Sie dürfen meines Schutzes und meiner Fürsorge gewiß sein. Ihre Vorgängerin wird das bestätigen können.«
»Absolut«, bedankte sich Hedwig Bessener. »Herr Minister, Sie haben in Carla eine Nachfolgerin gefunden, die über alle Qualitäten verfügt, die Sie erwarten – fachlich und menschlich. Wir haben schon die frühen Morgenstunden genutzt, um den Aufgabenkreis durchzusprechen, so daß Sie sich jetzt auf die anstehenden Probleme konzentrieren können.«
»Ausgezeichnet! Dann werden wir uns einer guten Tasse Kaffee zuwenden. – Hedwig, sind Sie so nett! Und Sie, Carla, gehören ab heute an meine Seite.«
Carla Steiner setzte sich neben ihren neuen Chef, stellte die Füße fest auf den Teppich, hielt die Knie geschlossen und zog den Rock glatt. So hatte man es ihr und den anderen Teilnehmerinnen auf einem Fortbildungslehrgang in Berlin für diese und ähnliche Gelegenheiten nahegelegt.
Der Minister faßte leicht ihren Arm. »Etwas näher darf es schon sein, ohne daß die Etikette Schaden nimmt – ha, ha«, scherzte er gönnerhaft. »Wir müssen ja zusammenarbeiten. Außerdem, ab heute sind Sie nicht mehr Chefsekretärin, sondern meine persönliche Referentin und damit im höheren Dienst. Sie werden sehen, man gewöhnt sich schnell daran.«
»Ich werde mir Mühe geben, Herr Minister. Einige Hemmungen müssen Sie mir schon noch zugestehen am ersten Tag«, sagte Carla Steiner und nahm die Knie etwas auseinander.
»Aber sicher«, schmunzelte er und legte beruhigend seine Hand auf ihre Schulter.
Nachdem Hedwig Bessener den Kaffee eingeschenkt hatte, gab der Minister einige Hinweise. Er wußte, was Macht bedeutet. »Als persönliche Referentin müssen Sie immer präsent sein. Immer! Ihre Teilnahme – zunächst in meiner Begleitung – an den Fraktionssitzungen im Parlament bitte ich ernst zu nehmen. Konventionelle Kleidung, zurückhaltendes, aber sicheres Auftreten. Entsprechend der Tagesordnung fordern Sie rechtzeitig Vermerke von den Referenten an. Den Fraktionsvertretern wird nicht
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