Fehltritt Im Siebengebirge
14
Zolloberinspektor Wernitz ließ sich es nicht nehmen, seinen Besucher durch das Zollamt Bonn-Beuel zu führen. Der Altbau war gründlich renoviert. Nach bewährtem Behördenprinzip hatte die Oberfinanzdirektion die zum Jahresende nicht verbrauchten Haushaltsmittel noch halbwegs sinnvoll eingesetzt und für alle Dienstgrade neue Drehstühle beschaffen lassen. Die wirkten in dem hergerichteten Altbau aus der Kaiserzeit wie Fremdkörper in einem gewachsenen Organismus.
Kommissar Freiberg sah sich in Werner Klattes Diensträumen nur kurz um. Nichts erinnerte daran, daß hier ein Mensch Stunden und Tage seines Lebens verbracht hatte. In dieser funktionalen Sterilität zwischen alten Wänden und neuen Möbeln waren Beamte die jederzeit auswechselbaren Zutaten. Der tote Amtschef war bereits abgeschrieben wie ein Schreibtischstuhl oder ein Aktenbock, dessen amtlich kalkulierte Nutzungszeit abgelaufen war.
Wernitz bemerkte das Zögern seines Besuchers und sagte zu ihm: »Kommen Sie, wir gehen in mein Büro. Es ist gleich nebenan. Diensträume ohne Menschen lassen Zweifel daran aufkommen, ob es so etwas wie den Staat überhaupt gibt. Kollege Klatte war bei uns noch nicht richtig warm geworden. Das braucht Jahre, nicht nur Wochen – und dann wird man versetzt oder pensioniert. Man fragt sich immer wieder, woraus so ein Staat eigentlich besteht – aus Bauten oder aus Menschen.«
»Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt, darüber in Glücksfällen die Soße der gemeinsamen Sprache. Wenn alles zusammenpappt, hält man das für einen Staat«, rekapitulierte Freiberg die reine Lehre, wohlwissend, daß er damit dem Empfinden seines Gastgebers nicht voll entsprach. »Gerechtigkeit und Demokratie sind im Denkmodell nicht vorgesehen.«
»Sind wir Behördenmenschen nun Volk oder Gewalt? – Ist mit unserem Amtschef Klatte vielleicht ein Stück Staat verunglückt?« überlegte Wernitz laut.
»Wir müssen anders fragen«, meinte Freiberg, »ob mit ihm vielleicht ein Stück Staat umgebracht worden ist.«
Wernitz fuhr herum. »Was sagen Sie – umgebracht? Das hatten Ihre beiden Kollegen bei ihrem ersten Besuch nicht erwähnt. Aber von wem?«
»Wir wissen jetzt, daß Klatte ermordet und in den Blauen See geworfen wurde. Von wem und warum ist noch völlig unklar. Wir sitzen ziemlich fest mit unseren Ermittlungen. Vielleicht können Sie uns weiterhelfen.«
»Jederzeit bereit – aber wie? Beim Zoll gibt es über dreißigtausend Beamte, die kassieren im Jahr reichliche hundert Milliarden harte D-Mark und jagen hinter Steuersündern her – aber nicht hinter Mördern. So ab und zu wird mal einer umgebracht, ein Klatte hier am sonnigen Rhein oder irgendein anderer Kollege nachts an der grünen Grenze. Ohne die Diensthunde sähe es noch übler aus – die bieten Schutz! Ich war auch mal als Hundeführer draußen«, erläuterte Wernitz. »Sie wissen doch, ein Hund ersetzt glatt einen Beamten. Er kann nur nicht ganz so gut schreiben und lesen.«
»Wer, der Beamte?« fragte Freiberg lachend und fuhr, ohne auf Antwort zu warten, fort: »Ich habe übrigens im Zusammenhang mit den Ermittlungen im Fall Klatte eine zünftige Hundegeschichte gehört.«
»Kein Zöllnerstammtisch ohne Bello-Stories«, warf Wernitz ein.
»Aber diese hat ihren besonderen Pfiff. Dem Fernfahrer Guido Siemann von der Spedimpex in Beuel hatte so ein trampender Strolch, der von Antwerpen bis Aachen mitgefahren war, die Brieftasche mit fünftausend Mark geklaut. Ein Zollhund hat Geld und Täter ganz fix zurückgeschafft. Den ›Hundefinderlohn‹ hat Siemann mit Bekannten in der ›Old-Sound-Disco‹ auf den Kopp gehaun, wie es in unseren Akten steht. Und nun raten Sie mal, wer in der Disco per Zufall dabei war.«
Wernitz hob die Schultern. »Sie werden es mir schon sagen.«
»Ihr Chef, der ermordete Zollamtmann Werner Klatte.«
»Das kann doch kein Zufall sein«, bemerkte Wernitz energisch.
»Sieht aber ganz danach aus.«
Wernitz überlegte: »Siemann sagten Sie? Ich bin ziemlich sicher, daß Klatte das INZOLL-Telex gelesen hat.«
»Nun orakeln Sie mal nicht so vor sich hin, lieber Kollege vom Bund. Was steckt dahinter?«
»Der Zollfahndungsdienst hat uns von seinem INZOLL-Computer einen Datensatz über Guido Siemann zugeleitet. Das Fachchinesisch klingt fürchterlich, aber die Informationen sind eindeutig.«
»Und…?«
»Bei der Rückholaktion ›Brieftasche‹ hat ein Rauschgiftspürhund im Fahrerhaus desLkw eine Tasche gefunden, in der
Weitere Kostenlose Bücher