Fehltritt Im Siebengebirge
nein – nichts weiß ich – und für die Polizei schon gar nicht«, sagte sie wütend.
»Sie machen zwei Fehler!«
»Wieso zwei und warum? Was soll das Gerede?«
»Fehler eins, daß Sie mich für dumm verkaufen wollen, Fehler zwei, daß Sie Ihren Bruder in sein Unglück rennen lassen. Wir wissen, daß er auf eigene Faust den Mörder suchen will. Das ist kein Kinderspiel! Vielleicht ist er in ein paar Stunden tot – nicht der Täter, sondern Ihr Bruder Guido. So viel können Sie dann gar nicht weinen, daß Ihnen Ihre Mitschuld vergeben wird.«
»Ich habe der Polizei nichts zu sagen – ich denke gar nicht dran.«
»Verdammt noch mal, reden Sie! Meinen Sie vielleicht, wir spielen hier den Räuber Hotzenplotz? Haben Sie schon mal gesehen, wie ein Mensch aussieht, wenn er erschossen, erschlagen, erwürgt oder erstochen, vielleicht mit zerschmetterten Gliedmaßen vor Ihren Füßen liegt? Wenn es Ihre Unvernunft so will und Ihrem Bruder passiert etwas, werde ich Sie persönlich an seine Leiche führen und dafür sorgen, daß Sie das Bild niemals vergessen werden. Tag und Nacht wird es vor Ihren Augen sein!«
Freiberg hörte, daß Barbara weinte. Sie tat ihm leid, aber es gab keinen anderen Weg. Nur Einschüchterung konnte sie zum Reden bringen. »Verstehen Sie doch, wir müssen Guido helfen. Ich halte ihn nicht für einen so harmlosen Burschen, wie Sie ihn darstellen wollen. Mit seinem Nebenverdienst ist etwas oberfaul. Doch für einen Mörder halte ich ihn nicht.«
»Aber die Polizei fahndet nach ihm – das stimmt doch?«
»Zum Teufel, ja – auch zu seinem eigenen Schutz.«
»Helfen Sie ihm«, brach es aus ihr hervor. »Bitte, helfen Sie ihm! Er ist unvernünftig, aber nicht schlecht. Bitte!«
»Wo ist er?«
Sie weinte auf. »Ich weiß es doch nicht. Er hat mich in der Nacht angerufen und gesagt, daß er in Köln beim Arzt war, aber heute und vielleicht noch die nächsten Tage nicht zur Arbeit kommen könne. Erst müsse die andere Sache geregelt werden.«
»Das ist wenig genug. Weiß er von der Fahndung?«
»Ich habe ihm gesagt, daß er gesucht wird und daß die Polizei Fotos von ihm geholt hat. Er war ziemlich durcheinander. Dabei haben wir doch übermorgen die große Hundertjahrfeier. Da soll auch meine Verlobung mit Hartmut Erlenborn bekanntgemacht werden. Auch der Europaminister hat sein Erscheinen zugesagt. Für seine Schirmherrschaft über ein Naturschutzprojekt von Erlenborn habe ich schon achtzigtausend Mark in die Firma gesteckt. Die Sache wird ganz groß aufgezogen. Mein Bruder muß doch dabei sein. Aber wenn er kommt, wird er von der Polizei verhaftet. – Das ist ja alles so schrecklich!«
»Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?«
»Ja, sicherlich.«
»Und seine Antwort?«
»Was kann man von ihm schon erwarten, wenn er vollkommen durchgedreht ist. ›Scheiß auf deinen Hartmut und den ganzen Schnapsladen!‹ Genau das hat er gesagt. Mein Gott, der ist völlig fertig.« Es hörte sich an, als wollte sie auflegen.
»Hallo – bitte –!«
»Ja?«
»Ich glaube Ihnen, aber dadurch sieht das alles auch nicht besser aus. Rufen Sie über hundertzehn sofort an, wenn Sie von Ihrem Bruder hören. Die Leitstelle kann mich überall erreichen. Ich muß jetzt raus zum Blauen See. BGS-Taucher sind dabei, nach der Tatwaffe zu suchen. Hoffen Sie mit mir, daß sie gefunden wird und wir dadurch ein Stück weiterkommen.«
Freiberg vernahm noch ein leises Ja, bevor sie auflegte.
Marianne Richter war spät aufgestanden. Sie fühlte sich wie zerschlagen und hatte nur wenig zum Frühstück zu sich genommen. Jetzt stand sie schon eine Viertelstunde hinter der Gardine ihres Hotelzimmers und beobachtete den Münsterplatz. Am Beethoven-Denkmal warteten offensichtlich zwei Männer und eine Frau. Sie schienen nicht zusammenzugehören.
»Der große Meister«, das war neben dem Alten Zoll am Rhein und dem Brunnen auf dem dreieckigen Marktplatz der markanteste Treffpunkt für Verliebte, einkaufende Hausfrauen und Studenten. Zu den Wartenden gehörten gewiß auch einige Gäste des Pavillons, die um diese Zeit ihren Milchshake oder Kaffee tranken. Kreuz und quer, scheinbar ziellos, eilten Menschen über den Platz. Einige kauften Blumen an den bunten Ständen. Kleine Kinder liefen jauchzend den Tauben nach, die das Spiel kannten und immer wieder das für sie hingeworfene Futter auf dem Boden fanden. Eilige Damen blieben mit ihren Absätzen zwischen den Pflastersteinen hängen. Eine große Blonde schwankte auf einem
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