Feind aus der Vergangenheit
parkte vor Nr. 11, seiner Bude.
Drei Personen standen neben dem
Wagen: ein Uniformierter, ein Zivilist mit markantem Gesicht und ein
hochgewachsener Jugendlicher in Jeans und rotem Pullover.
Wohl ein Lehrling im ersten
Polizei-Semester? dachte Paluschke.
Im Innenspiegel überprüfte er,
ob seine Miene hinreichend harmlos wirkte. Dann lenkte er den Wagen zu seiner
Adresse.
*
Dieses Gewimmel!
Gaby, Karl und Klößchen saßen
auf der Galerie — also in der Höhe von anderthalb Stockwerken — und blickten
hinunter in die Kaminhalle der Meier-Micksner-Villa, wo die Menge geladener
Gäste sich gütlich tat am kalten Buffet.
Klößchen stöhnte. Er futterte
nicht mehr, sondern preßte beide Hände auf den prallgefüllten Bauch.
„Nicht zu fassen“, murmelte er
durch die Zähne. „Ich dachte immer, ich könnte was wegputzen. Aber unter den
Gästen dort unten sind noch ganz andere Fresser. Der Dicke im blauen Anzug hat
schätzungsweise zwei Kilo vom kalten Rehrücken vertilgt.“
„Das ist Karl-Walter Bäcker,
der hiesige Kurdirektor“, sagte Claudia, die Tochter des Hauses, die in diesem
Moment zu ihren Schulfreunden trat. Claudia hatte langes dunkles Haar und
rehbraune Augen.
Genau 159 Personen bevölkerten
die riesige Kaminhalle. Claudias Eltern hatten eingeladen.
Es galt, zwei Anlässe zu
feiern: Zum einen den 80. Jahrestag der Meier-Micksner-Werke, die schon seit
drei Generationen bestehen. Zum anderen wurde Dr. Jan Niedermann geehrt, dem
als Chefchemiker eine sensationelle Erfindung geglückt war: ein Präparat, das
zwar nicht Unsterblichkeit garantierte, aber den natürlichen Alterungsprozeß um
Jahre, angeblich Jahrzehnte, hinausschob. Ein Mittel also, das genau in unsere
Zeit paßt. Wird doch von der Wissenschaft erwartet, daß sie Wunder vollbringt.
Den feierlichen Teil des Festes
hatte man vor einer Stunde beendet. Claudias Vater, Dieter Meier-Micksner,
hatte eine kurze Rede gehalten, der Landrat eine längere — die aber allen schon
bekannt war auch der Bürgermeister hatte zur Langeweile beigetragen.
Dann wurde es lustig mit der
Eröffnung des Buffets. Champagner-Propfen knallten. Aus einem 100-Liter-Faß,
das den Weg zu den Toiletten verstellte, floß französischer Wein. Natürlich ein
köstlicher, der erst nach zehn Gläsern Kopfschmerzen macht.
„Wer ist eigentlich Dr.
Niedermann?“ fragte Gaby. „Er wurde zwar furchtbar gelobt, aber niemand hat ihn
in die Luft geworfen, wie das sonst bei Ehrungen üblich ist.“
„Nicht bei Ehrungen dieser
Art“, lachte Claudia. „Heute sind wir vornehm. Der dort ist Niedermann.“
Ihr ausgestreckter Zeigefinger
nützte Gaby nicht viel.
„Der mit dem Birnenkopf. Jetzt
steht er genau unterm Kronleuchter. Ich kann ihn nicht leiden.“
„Was hast du gegen
Kronleuchter?“ fragte Klößchen. „Hahahah! Aber im Ernst. Niedermann ist
irgendwie ein fischiger Typ. Nicht nur in den Augen.“
„Mag ihn dein Vater?“ fragte
Gaby.
„Menschlich nicht. Als
Mitarbeiter ja.“
„Ich könnte das nicht trennen“,
sagte Gaby.
„Du leitest auch kein
Pharma-Werk.“
„Was meinst du eigentlich mit
fischig?“ fragte Klößchen. „Hat er Schuppen?“
„Ich meine seinen kalten
Schellfisch-Blick.“
„Kann ich von hier oben nicht
erkennen.“ Klößchen erhob sich. „Ich hole mir noch eine Portion Schoko-Creme.
Tim tut mir leid. Wenn er kommt, ist das Buffet ratzekahl leer gefressen.“
„Macht nichts“, sagte Gaby.
„Die Futterei hat für ihn keine Bedeutung.“
15. Zeitfalle
„Vielleicht ahnt Paluschke, daß
er seine Schlüssel am Tatort verloren hat“, sagte Kommissar Glockner. „Dann
gibt’s nur eins für den Typ: Verduften.“
Tim rieb an seinem
Pulloverärmel herum. Schwarzer Holunderbeer-Saft hatte Spuren hinterlassen.
Schade! Der Pullover war neu.
Als Tim den Blick hob, sah er
den Wagen.
„Das könnte er sein, Herr
Glockner.“
Der Kommissar wandte sich um.
Der uniformierte Polizeimeister - er hieß Steingruber - straffte dienstlich die
Schultern. Der Wagen blinkte jetzt, bog ab hinter dem Polizei-Fahrzeug und
rollte durch die Einfahrt neben das Haus Nr. 11.
„Aha!“ meinte Glockner.
Zu dritt setzten sie sich in
Bewegung, wobei jeder — als sei’s verabredet — mit dem linken Fuß anfing.
Wie ein Terrorist sieht er
nicht aus, dachte Tim, als der lange Kerl aus dem Wagen stieg. Hat keinen
wilden Fanatismus im Gesicht, sondern nur ‘ne Knubbelnase wie jeder
Durchschnitts-Ganove.
Paluschke — er mußte
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