Feind in Sicht
seinen Bruder, der ihn mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete.
Bolitho sagte: »Mach’ die Tür zu!« Dann leiser: »Du kannst offen sprechen. Es ist niemand da, der uns zuhört.«
»Ich wollte gern…« Hugh begann zu stottern und fuhr dann entschlossen fort: »Ich hörte vom Tod deiner Frau. Es tut mir sehr leid. Was könnte ich dir sonst noch sagen?«
Bolitho seufzte. »Ja. Ich danke dir.«
»Als ich mit den anderen Strafgefangenen in Cozar war, habe ich Cheney häufig bei der alten Festung Spazierengehen gesehen. Ich glaube, ich habe mich damals auch in sie verliebt.« Er lächelte traurig. »Wirst du die Franzosen dieses Mal finden?« Bolitho sah ihn an. »Ja.«
»Wenn das Glück dir hold ist, was hast du danach mit mir vor?«
»Ich habe mich noch nicht entschieden.« Bolitho setzte sich erschöpft hin und rieb sich die Augen. »Falls wir Lequiller finden und schlagen…«
Sein Bruder hob eine Augenbraue. »Ihn schlagen?«
»Ihn zu lahmen, würde schon ausreichen.« Seltsam, wie Hugh Dinge voraussah, die andere nicht einmal vermuteten. Eine Seeschlacht in der Biskaya, vielleicht einige hundert Seemeilen vom nächsten Land entfernt, konnte für den Sieger ebenso gefährlich enden wie für den Besiegten.
Er fuhr abrupt fort: »Ich könnte dich den Behörden mit der dringenden Bitte um Begnadigung übergeben. Angesichts dessen, was du auf der
Spartan
geleistet hast, sollte diese Bitte nicht abgeschlagen werden.« Er hob die Hand. »Hör’ mich erst an, bevor du etwas sagst. Aber wenn du es vorziehst, schicke ich dich mit irgendeinem Auftrag an Land.« Er sah weg, als er weitersprach. »Du kannst dann verschwinden und weiter deiner Wege gehen.«
»Mit beidem setzt du dich der Kritik, möglicherweise sogar wirklicher Gefahr aus, Dick. Beim letzteren noch mehr, weil du dann mit dem Wissen weiterleben mußt, daß du privaten Interessen zuliebe gegen deine Dienstauffassung verstoßen hast.«
Bolitho sah ihn ernst an. »Mein Gott, glaubst du, daß ich mir jetzt noch
darum
Sorgen mache?«
»Jedenfalls tue ich’s. Und du gibst mir die Fluchtchance auch nicht nur deshalb, weil du im Grunde der Nachsicht des Kriegsgerichts mißtraust, sondern weil es auf meinen Sohn einen schrecklichen Eindruck machen muß, wenn sein Vater als Hochverräter hingerichtet würde.« Er lächelte wieder. »Ich kenne dich doch, Dick.«
»Also?« Bolitho stand auf und ging an das Kartenspind.
»Ich werde dein Angebot annehmen und abhauen.« Hughs Stimme klang plötzlich müde. »Und zwar nicht nach Cornwall, wo man mich erkennen könnte.« Er machte eine Pause. »Aber es wird England sein und nicht irgendein pockenverseuchtes Gefängnis am anderen Ende der Welt.«
Bolitho sah ihn an. »Vielleicht sprechen wir später darüber.«
»Kaum.« Sein älterer Bruder sah ihm in die Augen. »Übrigens halte ich das, was du jetzt tust, für verrückt. Du hättest Pelham Martin die Verantwortung tragen lassen und ruhig in St. Kruis vor Anker bleiben sollen. Jetzt wird er gewinnen, ganz gleich, wie die Sache ausgeht.«
»Mag sein.«
Hugh nickte. »Aber vielleicht hätte ich genauso gehandelt. Die Männer aus Cornwall sind leicht verrückt, sagt man, und wir bilden anscheinend keine Ausnahme.«
Man hörte Fußgetrappel auf dem Gang, dann steckte Midshipman Pascoe den Kopf durch die Tür. »Frage von Mr. Roth, Sir, ob er ein Reff einstecken darf. Der Wind hat ziemlich aufgefrischt.« Seine Augen wanderten von Bolitho zu Hugh. »Sir?«
Bolitho sagte: »Nein, das darf er nicht, Mr. Pascoe. Jetzt nicht und auch später nicht, es sei denn, wir bekommen einen Hurrikan.« Pascoe nickte. »Aye, aye, Sir, ich richte es sofort aus.« Dann fragte er: »Wäre es Ihnen recht, wenn Mr. Selby mir den Sextanten noch einmal erklärte, Sir? Es scheint, daß ich etwas langsamer bin als die anderen.«
Bolitho sah ihn wohlwollend an. »Nicht langsamer, Mr. Pascoe, nur jünger.«
Dann schaute er auf seinen Bruder. »Wenn Sie es mit Ihrem übrigen Dienst vereinbaren können, Mr. Selby, haben Sie meine Genehmigung.« Und mit Nachdruck: »Was unsere Unterredung soeben betrifft – ich möchte hoffen, daß Sie die restliche Zeit gut nutzen.«
Hugh nickte, und seine Augen strahlten plötzlich. »Die Zeit wird gut genutzt, Sir, darauf haben Sie mein Wort.«
Als sie gegangen waren, stützte Bolitho den Kopf in die Hände und starrte blind auf die Karte. Es hatte Zeiten gegeben, da ihm sein Bruder wegen der Aussichtslosigkeit seiner Zukunft leid tat. Jetzt war er
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