Feind in Sicht
folgte.
»Wir werden es später wieder aufholen.« Er beherrschte seinen Unmut und fügte knapp hinzu: »Das bietet uns ausgezeichnete Gelegenheit, mit der unteren Batterie zu exerzieren, Mr. Inch.«
Er ging nach achtern und blickte auf den Kompaß. Nordnordwest. Nun, wenigstens konnten die Bedienung auf dem unteren Batteriedeck exerzieren, ohne durch die geöffneten Stückpforten überschwemmt zu werden. Auch eine gewisse Ventilierung war willkommen, um die Feuchtigkeit und die abgestandene Luft aus dem tiefen Rumpf zu vertreiben.
Es dauerte sechs Stunden, die erzwungene Kursänderung wettzumachen; nun lief die
Hyperion
wieder nach Süden und hatte jeden Fetzen Leinwand gesetzt, um den mäßigen Landwind zu nutzen. Das Tageslicht begann bereits nachzulassen.
Bolitho ging in Luv auf und ab, als ihn der Ruf des Ausgucks aus seinen brütenden Gedanken schreckte. »An Deck! Segel Backbord voraus!«
Bolitho sah zum Masttopp auf. Es hatte keinen Sinn, den Kurs zu ändern, das würde sie über eine kostbare Stunde kosten, und bis dahin war es dunkel. Sie würden die Fregatte in einem Abstand von zwei Meilen passieren, und das sollte genügen, um ihre Signale zu erkennen. Er hob sein Glas und blickte über das Netz. Er konnte das ferne Schiff nicht ausmachen, denn seine Formen verschwammen vor dem stumpfen grauen Streifen, der die französische Küste war. Er blickte wieder nach oben und biß auf die Lippe. Auf seinem schwindelerregenden Posten behaglich schwankend, konnte der Ausguck die Fregatte sicher deutlich sehen und – wichtiger noch – ihren Abstand bis zu dem hinter ihr liegenden Land erkennen.
Er gab sich einen Ruck. »Ich entere auf, Mr. Inch.« Er ignorierte den schnellen Blickwechsel zwischen den Umstehenden und konzentrierte alle Willenskraft darauf, in die Luvwanten zu klettern und langsam Sprosse um Sprosse der vibrierenden Webeleinen hinaufzusteigen. Schon als Midshipman hatte er Höhen gehaßt, und jedesmal, wenn er aufentern mußte, hatte er erwartet, daß er seine dumme Angst überwunden hätte. Doch dem war nicht so; mit knirschenden Zähnen, die Augen fest auf den schwankenden Mast gerichtet, kletterte er höher und höher. Bis in die Marsstenge hinauf und darum herum, wo zwei überraschte Marinesoldaten die Drehbasse reinigten; die auf steigende Übelkeit unterdrückend, spürte er, wie sein Gewicht an seinen Händen zog, während sein Körper an den Püttingswanten nach außen hing. Doch da jetzt mehr Augen auf ihn als auf die näherkommende Fregatte gerichtet waren, konnte er nicht den leichteren Weg durch das Loch für Anfänger nehmen.
Als er schließlich die Saling erreichte, fand er dort einen ergrauten, bezopften Seemann, der bereits zur Seite rückte, um ihm Platz zum Sitzen zu machen. Bolitho nickte dankbar, mußte aber erst wieder zu Atem kommen. Einige Augenblicke lehnte er sich an die zitternde Stenge, während er nach dem umgehängten Teleskop tastete und versuchte, nicht zu dem weit unter ihm liegenden Deck hinunterzusehen.
Er hörte Midshipman Gascoigne rufen: »Sie hat Erkennungssignal gehißt, Sir!« Inch mußte etwas gesagt haben, denn Sekunden später entfaltete sich das vorbereitete Bestätigungssignal als helles Rechteck an der Marsrah des Hauptmasts.
Bolitho stellte sein Glas ein und sah die schlanke Fregatte in seinem Blickfeld tanzen. Sprühwasser stieg wie ein Vorhang über ihren Bug auf. Er vergaß seine Ängste, als er sich an seine Dienstzeit auf Fregatten erinnerte: immer in Fahrt, mit dem Schwung und der Spannung, die sich auf einem Schiff dieses Typs übertrug. Er empfand Mitgefühl mit dem Kommandanten auf einsamem Wachdienst: Tag für Tag hin und her patrouillieren, ohne daß man etwas vorweisen konnte. Unter diesen Umständen war es auf einem Linienschiff schon schlimm genug, aber im ranken Rumpf einer Fregatte mußte es ein einziger Alptraum sein.
Er riß den Blick von dem anderen Schiff los und richtete ihn auf die im wachsenden Dunkel verschwindende Landzunge im Norden der Flußmündung. Ein paar helle Flecken, wahrscheinlich Unterkünfte der Küstenwache. So dicht unter Land schienen sie sich in der Strömung zu bewegen und die See stillzustehen. Bolitho setzte das Glas ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
Er hörte Inchs Stimme, die der Wind herauftrug: »Captain, Sir! Die
Ithuriel
hat nichts Neues zu berichten.«
Er wartete, bis das Besansegel einen Augenblick im unsteten Wind flatterte, und konnte dann die perspektivisch verkürzten
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