Feind in Sicht
Meilen Abstand an ihm vorbeigelaufen war.
Aber was die Franzosen auch verbergen wollten, es mußte ihnen das Risiko wert sein. Zu seiner Überraschung gab ihm diese Erkenntnis Sicherheit, und als etwas später Petch mit Kaffee in die Kajüte kam, fand er Bolitho mit entspanntem Gesicht fest schlafend auf der Bank unter dem Heckfenster ausgestreckt.
Petch war eine schlichte Seele, und als er seinen Kumpanen erzählte, ihr Kommandant sei seiner Sache so sicher, daß er ihn bald fest schlafend angetroffen habe, fand seine Geschichte manche Ausschmückung.
Allday hörte sie und hatte nichts dazu zu sagen. Er kannte Bolitho besser als jeder andere und vermutete, daß der Captain ganz wie er selbst an jene andere Begegnung vor vielen Jahren gedacht hatte, als ein ähnliches Täuschungsmanöver ihn um ein Haar Leben und Schiff gekostet hätte.
Allday prüfte im gedämpften Licht einer abgeschirmten Laterne sein schweres Entermesser. Wenn es zu einem Gefecht kommen sollte, brauchte die unerfahrene Besatzung der
Hyperion
mehr als Selbstvertrauen. Eine ganze Menge mehr.
Ein Schandname
»Captain, Sir!«
Bolitho schlug die Augen auf und starrte ein paar Sekunden lang in Inchs besorgtes Gesicht. Er hatte geträumt. Von einem grünen Feld und einem endlosen, von blühenden Hecken gesäumten Weg, und über diesen Weg kam ihm Cheney entgegen, um ihn zu begrüßen. Er war ihr entgegengelaufen, genau wie sie ihm, aber sie schienen einander nicht näherzukommen.
»Was ist?« Er sah, wie Inch nervös zurückzuckte, und fügte hinzu: »Entschuldigung. Wird es schon Zeit?«
Inch nickte, das Gesicht im Halbschatten. »Von der Küste kommt Nebel auf, Sir. Er ist nicht sehr dicht, aber Mr. Gossett sagt, er könne die endgültige Annäherung erschweren.« Er sprang beiseite, als Bolitho die Beine zu Boden schwang und nach seinem Uniformrock griff.
Bolithos Kopf war jetzt klar. »Wie ist unsere Position?«
Inch zögerte. »Wir sind zehn Meilen nordnordwestlich von der Halbinsel, Sir.«
»Ich bin bereit.« Bolitho warf einen letzten Blick rundum durch die Kajüte und löschte die Lampe.
Auf dem Achterdeck war es noch dunkel; erst als Bolitho nach oben blickte, erkannte er die Dichte des Nebels. Er trieb recht schnell davon, so daß die Segel noch gut zogen, doch oberhalb der Großrah konnte er nichts mehr erkennen, ganz so, als ob eine Riesenhand die übrigen Segel und die Maststengen weggesäbelt hätte.
Aus dem Dunkel meldete Stepkyne: »Kombüsenfeuer gelöscht, Sir.«
Auf allen Seiten herrschte nervöse Spannung, aber Bolitho zwang sich, nicht auf die anderen zu achten, als er zum Kompaß ging.
»Fallen Sie zwei Strich ab auf Kurs Südost!« Er hob die Hand.
»Und machen Sie sowenig Geräusch wie möglich.«
Er ging nach Luv hinüber und sah zum nächsten Segel auf. Zu ärgerlich, daß wir nicht Segel kürzen können, dachte er. Die
Hyperion
glitt sehr langsam an der feindlichen Küste entlang, und im ersten Tageslicht mochte ein wachsamer Posten die Bramsegel des Schiffes wahrnehmen und Alarm schlagen, ehe Bolitho das letzte Stück zurückgelegt und sich in die günstigste Position gebracht hatte, um die Fregatte zu stellen. Wenn er genügend Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit erhalten wollte, um die Fregatte zu überraschen, ehe sie ihm ihr Heck zeigen konnte, mußte er wachsam bleiben.
Er kam zu einem Entschluß. »Alle Mann auf Station, Mr. Inch. Aber ohne Pfeifen oder Lärm. Geben Sie den Befehl mündlich weiter, und dann: Klarschiff zum Gefecht.«
Durch diese Vorsichtsmaßnahme wurde die Aufgabe, das abgedunkelte Schiff gefechtsbereit zu machen, zu einer noch schwereren Nervenprobe. Schatten glitten hin und her, während von den Decks gedämpftes Poltern und Schlagen heraufklang, als die Zwischenwände entfernt, die Geschütze von ihren Zurringen gelöst wurden und die Offiziere mit scharfem Flüstern ihre Leute zusammentrieben und antreten ließen. Und während der ganzen Zeit glitt die
Hyperion
wie ein Geisterschiff durch langgestreckte Nebelschwaden, die Segel naß von Gischt und Sprühwasser, mit knarrender Takelage, als der Rumpf in die starke Strömung geriet und die Männer im Ausguck die Augen anstrengten, um die Dunkelheit zu durchdringen.
Bolitho griff in die Netze und sah den Nebel wie eine milchige Flüssigkeit durch die Großwanten streichen, ehe der nächste Windstoß ihn hob und auf die offene See hinaustrieb. Hinter sich hörte er Hauptmann Dawson zu seinen Marinesoldaten sprechen,
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