Feind in Sicht
als ein Windstoß den Qualm vertrieb, sah er, was seine Breitseiten angerichtet hatten. Die Segel waren zerfetzt, und der tiefliegende Rumpf war fast bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen. Hier und dort feuerte noch eine Kanone, doch als die untere Batterie der
Hyperion
über den schmalen Streifen Wasser hinweg noch einmal aufbrüllte, sah er Blut aus den Speigatten der Fregatte rinnen. Eiskalt beobachtete er, wie Getroffene von den zersplitterten Masten und Rahen stürzten und zwischen den treibenden Wrackteilen versanken.
Große Stücke des Schanzkleids und der Gangways des französischen Schiffs wurden in die Luft geschleudert; selbst ohne Glas konnte Bolitho zerfetzte Leichen auf dem verwüsteten Deck liegen sehen.
Scharf befahl er: »Feuer einstellen!« Als sich Stille über die gräßliche Szene senkte, packte Bolitho beim Anblick der Fregatte verspätetes Entsetzen. Er hob die Hände als Trichter an den Mund und schrie hinüber: »Flagge streichen! Ergeben Sie sich!«
Vielleicht konnte die Fregatte noch repariert und als Ersatz für die
Ithuriel
eingesetzt werden. Ein Prisenkommando konnte sie nach Plymouth oder Cadiz bringen, und eine Prüfung ihrer Papiere und Dokumente mochte weitere Einzelheiten über sie offenbaren.
Unter seinen Füßen spürte er das Deck vibrieren, als die Geschütze nach dem Laden wieder ausgerannt und auf eine Distanz von kaum siebzig Metern wieder gegen den Feind gerichtet wurden.
Auf der Fregatte schoß kein Geschütz mehr, aber plötzlich knatterten Musketen auf ihrer Hütte los, und der Marinesoldat neben Bolitho schlug die Hände vors Gesicht und brüllte wie ein Tier, während ihm Blut zwischen den Fingern hervorströmte. Er schrie immer noch, als er gepackt und zum Arzt ins Orlopdeck geschleppt wurde. Gossett nahm seinen Hut ab und starrte den Blutfleck an, der darauf wie ein Kokarde leuchtete. »Dieser Froschfresser glaubt wohl immer noch, daß er uns entkommen kann, Sir.«
Bolitho sah über die Rücken der kauernden Kanoniere hinweg nach vorn. Es stimmte. Die
Hyperion
war der Fregatte in einem weiten Bogen gefolgt und lief jetzt geradewegs auf die gegenüberliegende Landzunge zu. Sie mußten bald wenden, und das mochte dem französischen Schiff das Entkommen ermöglichen.
Immer noch flatterte die Trikolore an ihrer Gaffel; das Musketenfeuer war eine klare Absage auf sein Angebot, den ungleichen Kampf zu beenden.
Doch er konnte den Befehl zum Feuern nicht geben. Auch ohne daß er sich über das Schanzkleid beugte, sah er die Doppelreihe der Geschützrohre vor sich, die wachsamen Augen und die drohende Mündung in jeder Stückpforte. Dagegen war jede Kanone der Fregatte, die zum Einsatz gekommen war, entweder umgestürzt oder zerschmettert, und ihr Rumpf lag bereits so tief, daß sie sich nicht mehr lange halten konnte, wenn sie keine Hilfe bekam. Er durfte sie nicht entkommen lassen, aber er durfte auch nicht das Leben seiner Leute beim Versuch, sie zu entern, aufs Spiel setzen. Der französische Kommandant mußte ein Fanatiker sein. Kaum konnte Bolitho ein Lächeln unterdrücken, und der halbnackte Seemann an seiner Seite schüttelte verwundert den bezopften Kopf. Aber Bolitho lächelte aus Mitgefühl und Trauer. Er dachte daran, wie er selbst als junger Fregattenkapitän gegen ein Linienschiff gekämpft hatte. Die Umstände hatten an diesem Tag zu seinen Gunsten entschieden, aber vielleicht hatte er auch nur Glück gehabt.
Füße klatschten laut aufs Deck, und einen Augenblick fürchtete Bolitho, ein Verwundeter wäre von einer Rahe gestürzt. Es war aber Gascoigne. Bolitho hatte den jungen Midshipman bis zu diesem Augenblick völlig vergessen.
»Nun, junger Mann, warum verlassen Sie Ihren Posten auf dem Mast?« Das war eine dumme Frage, aber sie gab ihm ein paar Sekunden Zeit, zu überlegen und zu entscheiden, was er tun sollte.
Gascoigne rieb sich die brennenden Hände. »Niemand hat mich gehört, Sir.« Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Flußmündung. Hinter den Schwemmsandbänken und den letzten Nebelschwaden sah Bolitho die dunklen Umrisse des Landes und das früher viel benutzte Fahrwasser nach Bordeaux.
Gascoigne platzte heraus: »Masten, Sir! Der Nebel ist oben noch so dicht, daß ich nicht viel erkennen konnte, aber es sind viele Masten!« Errötend riß er sich zusammen. »Drei oder vier Schiffe, Sir. Und sie segeln in unsere Richtung.«
Bolitho blickte über die Schulter des Jungen. »Jetzt wissen wir Bescheid, Mr. Inch.« Er trat an die Reling
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