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Feind in Sicht

Feind in Sicht

Titel: Feind in Sicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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zur Großrah des französischen Flaggschiffs hinaufgezogen wurden, schien der Rumpf der
Hyperion
unter einem einzigen lauten entsetzten Aufstöhnen der Matrosen und Marinesoldaten zu erbeben.
    Der Leutnant schrie verzweifelt: »Er läßt alle zehn Minuten zwei Mann hängen, Sir!« Schluchzend packte er Bolithos Arm. »Um Gottes willen, Sir, Lequiller hat zweihundert britische Gefangene in seiner Gewalt!«
    Bolitho befreite seinen Arm und versuchte noch einmal, seine Gefühle vor den Umstehenden zu verbergen. Die eiskalte Unmenschlichkeit, das furchtbare Ultimatum des Admirals erfüllten ihn mit ohnmächtigem Zorn und ratloser Verzweiflung. Er blickte auf das dichtgefüllte Oberdeck hinab, wo seine Leute von den Geschützen zurückgetreten waren und gebannt zu ihm hinaufsahen oder sich gegenseitig anstarrten, als wären sie zu benommen, um sich zu bewegen. Sie waren darauf vorbereitet gewesen, kämpfend zu sterben, aber dazustehen und der langsamen, unbarmherzigen Hinrichtung wehrloser Gefangener zuzusehen, das hatte ihren Kampfgeist weit wirksamer gebrochen, als es die schwerste Breitseite vermocht hätte.
    »Und wenn ich seiner Forderung nachkomme?« Bolitho zwang sich, die Jammergestalt des Leutnants anzusehen.
    »Dann will er die Leute von der
Ithuriel
an Land setzen und unter Bewachung nach Bordeaux bringen lassen, Sir.«
    Wieder hallte ein Schuß über das Wasser, wurde vom Echo zurückgeworfen, und Bolitho drehte sich um, um das Bild aufzunehmen und im Gedächtnis zu bewahren, damit er es nie vergessen würde: zwei kleine, zappelnde Gestalten. Was mußten diese Männer empfunden haben, als sie mit dem Strick um den Hals warteten? Die
Hyperion
war das letzte, was sie auf dieser Welt sahen.
    Bolitho packte den Leutnant am Arm und schob ihn auf den Niedergang zu. »Fahren Sie zum Flaggschiff zurück, Mr. Roberts.«
    Der Leutnant starrte ihn mit tränenblinden Augen an. »Heißt das, Sie ziehen ab, Sir?« Anscheinend glaubte er, nicht richtig verstanden zu haben, denn er versuchte, die Hand zu heben, als er im gleichen gebrochenen Ton fortfuhr: »Sie wollen sich um unserer Leute willen zurückziehen?«
    Bolitho wandte sich ab. »Bringen Sie ihn zu seiner Gig, Mr. Inch.
    Und lassen Sie das Ankerspill besetzen und das Schiff zum Segelsetzen fertig machen.«
    Er bemerkte Gossett, dessen Gesicht Anteilnahme und Verständnis verriet. »Legen Sie bitte einen Kurs fest, der uns von der Landzunge fortführt.« Bolitho konnte ihn nicht ansehen, noch konnte er Inch ins Gesicht blicken, als er sich rasch wieder seinem Platz an der Reling zuwendete.
    Die Männer mußten auf ihre Stationen getrieben werden, als wären sie von dem Geschehen betäubt worden. Die Älteren und Erfahreneren konnten nur nach achtern auf die schlanke Gestalt ihres Kommandanten starren, der zwar von anderen umgeben, aber dennoch allein dastand und die französischen Schiffe beobachtete; denn sie verstanden die Ungeheuerlichkeit seiner Entscheidung und ihre Tragweite. Doch Bolitho nahm keinen von ihnen wahr und war sich kaum des Durcheinanders und der gebellten Befehle bewußt, als Matrosen das Gangspill besetzten und über die Webeleinen aufenterten. Manche trugen noch die Entermesser im Gürtel, mit denen sie bereit gewesen waren, zu kämpfen und zu sterben.
    Die Gig ruderte zu den französischen Schiffen zurück, so schnell sie gegen die starke Strömung ankommen konnte. Bolitho ballte die Fäuste, daß ihm die Nägel ins Fleisch bissen, als das Geschütz wieder feuerte und zwei weitere Unglückliche zappelnd zur Großrah des Flaggschiffs aufstiegen.
    Der französische Admiral hatte nicht einmal die Rückkehr der Gig abgewartet. Er hielt sich an die gesetzte Frist. Hielt seine Drohung ein.
    Die Gig verschwand hinter den ankernden Schiffen, und dann murmelte Gossett: »Eins holt schon die Ankertrosse ein, Sir.«
    Vom Bug kam der Ruf: »Anker kurzstag, Sir.«
    Inch trat vor, aber er sah Gossetts grimmiges Gesicht und dessen kurzes Kopfschütteln. Deshalb machte er auf dem Absatz kehrt und befahl laut: »Weitermachen! Marssegel setzen!« Selbst als er sein Sprachrohr senkte, verriet Bolitho mit keinem Zeichen, daß er etwas gehört hatte, noch wendete er die Augen von den feindlichen Schiffen ab.
    »An die Brassen! Beeilung!« Ein Tampen schlug einem Mann klatschend über die Schultern, und vom Bug her kam der Ruf: »Anker ist los!«
    Langsam, sogar widerstrebend, fiel die
Hyperion
ab und gewann Fahrt. Das wäßrige Sonnenlicht fiel wie Silber auf ihre

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