Feind in Sicht
sich blähenden Segel, als sie mit dem ablandigen Wind davonsegelte.
Bolitho ging nach Luv, den Blick immer noch auf die französischen Schiffe gerichtet. Lequiller. Den Namen würde er sich merken. Lequiller – ein Schandname!
Ein Steuermannsmaat legte grüßend die Hand an die Stirn. »Verzeihung, Sir?«
Bolitho starrte ihn an. Er mußte laut gesprochen haben. Er sagte: »Der Tag wird kommen. Verlassen Sie sich darauf!«
Dann kletterte er die Leiter zur Hütte hinauf und sagte knapp: »Sie können Ihre Leute wegtreten lassen, Hauptmann Dawson.« Sobald der letzte Marinesoldat an ihm vorbeigepoltert war, begann er auf dem verlassenen Hüttendeck auf- und abzugehen. Sein Kopf war völlig leer. Bis auf einen Namen.
Das war alles, was er hatte. Doch eines Tages würde er ihn stellen, und wenn dieser Tag kam, würde er weder Mitleid kennen noch Pardon gewähren, bis die Erinnerung an jene elenden, zuckenden Gestalten getilgt war.
Die Jagd beginnt
Fünf Tage nach der Rückkehr der
Hyperion
zu den beiden anderen Schiffen saß Bolitho in seiner Kajüte, das Frühstück unangetastet vor sich, und blickte teilnahmslos durch ein Heckfenster auf den leeren Horizont. Er konnte sich an keine Tage erinnern, die so lang oder so inhaltslos gewesen wären, und wußte, daß das ganze Schiff seine dunkle Vorahnung teilte.
Als er wenige Minuten, nachdem sein Schiff im Kielwasser der anderen wieder seine Position eingenommen hatte, an Bord der
Indomitable
gekommen war, hatte er nichts anderes als das Gefühl völligen Versagens empfunden; als man ihn in die große Kajüte des Kommodore geführt hatte, hatte er wie ein außenstehender Zuschauer seiner Stimme gelauscht, während er seine Meldung machte.
Pelham-Martin hatte ihn wortlos und ohne Unterbrechung angehört. Tatsächlich konnte Bolitho sich nicht an einen Ausdruck oder irgendeine Reaktion erinnern, die entweder auf Verärgerung oder Besorgnis hinwies. Er hatte lediglich gesagt: »Kehren Sie auf Ihr Schiff zurück, Bolitho. Ich werde sofort einen Bericht für Sir Manley Cavendish aufsetzen.«
Und wieder war Bolitho wie ein unbeteiligter Zuschauer auf seinem Achterdeck hin und her gewandert, während an den Rahen des Flaggschiffs aufflatternde Signalflaggen wenigstens für ein paar Stunden Anzeichen der Dringlichkeit und Zielstrebigkeit verraten hatten. Zum Glück waren während der kurzen Abwesenheit der
Hyperion
die beiden Schaluppen zu dem kleinen Geschwader zurückgekehrt, und während die eine nordwärts jagte, um die Schiffe des Vizeadmirals zu suchen, wendete die andere und schlug die entgegengesetzte Richtung ein, um die beiden übriggebliebenen Fregatten zu holen.
Doch als Tag um Tag verging und nichts das Warten und die Ungewißheit unterbrach, wußte Bolitho, daß eine neue Demonstration der Stärke sinnlos war. Das Ausfalltor stand weit offen, doch war es unwahrscheinlich, daß noch mehr große Schiffe darauf warteten, die Wachsamkeit des Kommodore auf die Probe zu stellen.
Wieder und wieder stellte sich Bolitho die Frage, was er hätte tun können. Wenn er vor der Küste geblieben wäre, um die französischen Schiffe zu beobachten, wäre Pelham-Martin nicht informiert worden. Doch durch seine sofortige Rückkehr zum Geschwader hatte er dem Feind die Flucht erlaubt, ihm ermöglicht, sich in Luft aufzulösen, als hätte er nie existiert.
Die dritte Möglichkeit hatte er ohne zu zögern verworfen. Doch während er in seiner erzwungenen Isolation sich grämte und brütete, konnte er nicht länger den wahren Wert dieser einen Tat beurteilen. Menschlichkeit und Ehre wurden in der kalten und strengen Atmosphäre einer Kriegsgerichtsverhandlung anders gewertet. Es war wie eine finstere Drohung, daß Pelham-Martin dieses Mal von keinem verlangte, seinen Bericht mit zu unterschreiben.
Verschiedentlich hatte er angesetzt, Cheney wieder einen Brief zu schreiben, sie auf Nachrichten vorzubereiten, die jederzeit kommen und ihr nur Verzweiflung bringen konnten. Wenn Pelham Martin seinen Bericht so abgefaßt hatte, daß er damit die volle Verantwortung dem Kommandanten der
Hyperion
aufbürdete, dann würde es nicht lange dauern, bis man in Falmouth von Bolithos Schande erfuhr – mit allen schrecklichen Konsequenzen.
Er setzte sich auf, als eine Stimme rief: »An Deck! Segel in Luv voraus.«
Er zwang sich, am Schreibtisch sitzenzubleiben, bis ein Midshipman ihm in aller Form meldete, daß ein Schiff in Nordwest gesichtet worden war. Dann zog Bolitho trotz seiner
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