Feind
seltsam.
»Betrachtet Ihr die Osadroi überhaupt als Eure Feinde?«
Limoras zuckte mit den Schultern. Wegen der zwei Gelenke in jedem
Arm sah es merkwürdig aus, wenn er sie bewegte. »Freunde. Feinde. Sind das
nicht leere Worte? Mein eigenes Volk gab mich in die Hände der Schattenherren,
weil ich zu viel wollte.«
»Zu viel wovon?«
»Ihr würdet es wohl Macht nennen, aber unsere Wege unterscheiden
sich von Euren. Wir denken anders als Ihr, und wir entscheiden anders als Ihr.
Aber ich wollte Dinge, die anderen nicht gefielen.«
»Was für Dinge?«
Wieder lächelte er. »Das würdet Ihr nicht verstehen. Jedenfalls
empfand man meine Gedanken als störend, und so entsprach man der Bitte der
Ondrier gern, ihnen einen gesunden Fayé zu überlassen, den sie studieren
konnten.«
Helion hatte nie darüber nachgedacht, wie lange sich Limoras in
Gefangenschaft befunden haben mochte. Fayé alterten nicht, von daher mochten es
Jahrzehnte gewesen sein. Aber er hatte genug von Limoras’ herablassender Art,
sodass er auf die Frage verzichtete. Es ging ihn schließlich auch nichts an.
Wenn sie nur Lisanne stellten, wäre er zufrieden. Egal, wer ihm dabei half,
dieses Ziel zu erreichen.
Ein Versorgungstrupp kehrte zurück. Um auf dem Marsch keine Zeit zu
verlieren, schickt er sie bei Nacht aus. Die Männer sahen ihm aus verhärteten
Gesichtern entgegen. Es war kein leichter Dienst, den Bewohnern einsamer
Gehöfte vom Letzten zu nehmen, was sie noch hatten, aber das Heer brauchte
Nahrung. Einer Gruppe Flüchtlinge hatten sie alle Zugtiere geschlachtet, sodass
sie den Rest ihres Besitzes jetzt auf den eigenen Schultern tragen mussten.
Selbst diese harten Maßnahmen reichten kaum aus. Die Krieger hungerten. Helion
schob sich ein paar Pilze in den Mund, die er als essbar befunden hatte. Wenn
es morgen nicht besser wurde, müsste Helion die Pferde schlachten lassen. Sie
mussten Lisanne einholen, um jeden Preis. Die Geschwindigkeit mussten sie
ohnehin an den Fußsoldaten ausrichten, nur ein Drittel ihrer Streitmacht war
beritten, was aber weniger Probleme machte, als Helion vermutet hatte. In dem
waldigen Gelände waren Reittiere ohnehin nur von geringem Nutzen, was die Geschwindigkeit
anging. Zudem mussten Pferde nicht nur schlafen, sondern auch grasen und
saufen. Ein Fußsoldat konnte im Gehen essen und trinken.
Deria begleitete den Versorgungstrupp, sie war wohl kurz vor dem
Lager auf ihn getroffen.
»Mir wäre wohler, wenn sie nicht dabei wäre«, murmelte er. »So viele
sind schon gestorben.«
»Sie wird sich nicht fortschicken lassen«, stellte Limoras nüchtern
fest. Anscheinend kannte er sich mit dem Wesen der Menschen besser aus, als das
umgekehrt der Fall war.
Helions Falbe tänzelte. »Sie taugt nicht zur Heldin.«
»Das hätten viele auch von Modranel gesagt, und doch schicken sie
ihn jetzt in den Süden, um ihm ein prunkvolles Begräbnis zu bereiten.«
Ja, das Leben war seltsam. Es war noch nicht lange her, dass jeder
aufrechte Fürst Modranel verbrannt hätte, wenn er ihn in die Finger bekommen
hätte. Jetzt wurde der Zauberer geehrt. Helion hatte dafür gesorgt, dass Ajinas
Leiche mit ihm geschickt wurde. Sie würde ihre letzte Ruhe neben ihrem Vater
finden. Helion verstand jetzt alles, was sie über ihn gesagt hatte. Er hatte
sie neben ihm sterben sehen, aber er wusste, dass sie ihr Leben freiwillig
gegeben hatte. Er hatte es ihr nicht entrissen. Sie war im Sterben mit ihrem
Vater vereint gewesen, also sollte sie es auch im Tod sein. Immerhin waren ihr
die Qualen erspart geblieben, die Modranels Ableben begleitet haben mussten.
Sie hatten seine Leiche bei Prinz Varrior gefunden. Der Oberkörper war so
zerschnitten gewesen, dass er kaum noch als Mensch zu erkennen gewesen war. Das
Gesicht war im Gegensatz dazu jedoch beinahe unberührt geblieben. Eine
Stichwunde im Unterkiefer und die blutenden Augen, die vom Verlust der Essenz
zeugten, mehr nicht.
Deria kam näher.
»Vielleicht kann ich sie jetzt überzeugen. Wir sind in Eskad, ihrer
Heimat. Vielleicht sogar in Trubers Baronie.«
»Mein Volk würde nicht zustimmen, dass dies Eskad ist. Für die
Meinen befinden wir uns in Amdra. Sie beanspruchen den gesamten
Nachtschattenwald.«
»Wohl eine dieser Entscheidungen, die auf eine Weise gefällt wurden,
die ein Mensch nicht begreifen kann?«
Limoras’ Antwort war ein undeutbarer Blick.
Deria verbeugte sich. »Sie haben eine Siedlung überfallen. An einem
Bach.«
Helion war hellwach. »Wie weit
Weitere Kostenlose Bücher