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Feind

Feind

Titel: Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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eines Sees gezogen. Treaton hatte
ihn einmal mit einem Kettenhemd in einen Teich geworfen. Er hatte den Panzer
schnell genug ausziehen müssen, um wieder nach oben schwimmen zu können.
    Der Gedanke an seinen Lehrmeister fühlte sich schwer an. Helion
erfasste seine gesamte Erinnerung an ihn gleichzeitig, als sei sie ein Gemälde,
das er aus einiger Entfernung betrachtete. Ihr erstes Zusammentreffen, als er
ihn nach wochenlanger Suche in seiner Kate aufstöbert. Die frühen
Schwertübungen, in denen er begreift, wie unfähig er ist. Der erste Erfolg, als
er mit Holzschwert und Schild gegen Treaton besteht, der mit einem Dolch auf
ihn eindringt. Immer wieder die aufwallenden Gefühle, die sich auch mit den
überlieferten Litaneien niemals ganz zähmen lassen. Aber auch die Fortschritte.
Die Abhärtung mit Stockschlägen, das Laufen durch die Hügel, Kampf mit Schwert,
Axt, Lanze, Morgenstern. Schließlich Treatons Tod, der letzte Blick auf die
Leiche in dem Grab, das Helion selbst aushebt.
    Er ließ all diese Erinnerungen los. Sie sanken in die Tiefe, und er
selbst wurde merklich langsamer. Er verband kein Gefühl mehr mit seinem
Schwertvater.
    Stattdessen rückte jetzt sein erster Vater in seinen Blick,
gemeinsam mit der Mutter. Zuvor hatte sich Helion nur an die leblosen Körper
seiner Eltern erinnern können, an jenem Tag, als der Osadro in sein Dorf
gekommen war. Jetzt stiegen verschüttete Erinnerungen auf. Sein Vater mit dem
Onkel, der sich später Helions annimmt. Die beiden lachen miteinander, ärgeren
anscheinend Helions Mutter, die sich mit gespielter Entrüstung dagegen zur Wehr
setzt. Dann Vater und ein Krieger. Bevor er wieder seiner Wege zieht, drückt
der Mann sein Schwert in Helions kleine Hände. Die Waffe ist so schwer, dass
der Knabe sie kaum heben kann.
    Auch seine Eltern, seinen Onkel, das Dorf seiner Jugend ließ Helion
fallen.
    Er bemerkte jetzt, dass mehr um ihn herum war als Nichts und Tod. Da
waren schattenhafte Gebilde, beinahe so durchsichtig wie Luft, die über einem
heißen Stein flimmerte. Sie hatten keine feste Form, erschienen wie
Nacktschnecken, aber so dick, dass Helion sie mit beiden Händen kaum hätte
umfassen können. Sie umschwebten ihn, krochen über Beine und Brust, lösten sich
wieder.
    Seine Faszination für das Schwert führt ihn letztlich nach Akene und
weiter nach Guardaja, am Ende in den Nachtschattenwald. Der Tempel der
Mondmutter in Stygrons rotem Licht. Die andächtige Stille in der Ritterhalle.
Die Gefangennahme und spätere Enthauptung Graf Ranomoffs. Die Schlacht um
Guardaja. Er ließ alles fahren.
    Estrog, der Barbar, der auf seine Art mehr Gespür für Gerechtigkeit
hat als viele, die vornehm zu speisen verstehen. Dessen wilde Kraft jeden Kampf
gewonnen hat. Jeden bis auf einen, und in diesem stirbt er. Deria. Limoras.
Modranel. Helion ließ alle los, alle fielen unter ihm ins Nichts. Die Schnecken
halfen ihm dabei, zogen die Gefühle aus seinem Körper.
    Dann kam Ajina. Das Beste in seinem Leben. Selbst hier, wo er kein Herz
hatte, spürte er sein Herz schlagen. Einmal nur, dunkel dröhnend. Ihr eleganter
Gang im Tempel der Mondmutter. Ihre fließende Gestalt, zierlich in der etwas zu
großen Toga. Das goldene Haar. Der erste Blick in die Augen aus Saphir. Ihre
Stimme. Ihre Lippen. Die Wochen, in denen er mit ihr reist und doch kaum ein
Wort mit ihr spricht. Das ist so dumm, dass es ihn schmerzt, selbst jetzt noch,
hier! Dann ihre weiche Haut, ihr Duft, ihre Hingabe.
    Die Schnecken setzten immer wieder an, suchten neue Stellen an
seinem Körper. Aber er konnte Ajina nicht loslassen. Er wollte es nicht. Und
wenn es nur Augenblicke waren, die ihn vom Nichts trennten – besser wenige
Augenblicke mit den Erinnerungen an Ajina als ein langes Leben ohne sie!
    Dabei erkannte Helion, dass er seine Erinnerungen nicht verlor. Im
Gegenteil, sie waren sogar klarer, bewusster, ungetrübter. Aber auch …
    Genauer, aber weniger echt. Als hätten sie keine Farben mehr.
    Die Schnecken entfernten sich von seinem Körper, sammelten sich über
ihm, berührten sich. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder auf ihn
senkten.
    Ängstlich klammerte er sich an Ajina.
    Und gab ihnen stattdessen sich selbst. Er bemerkte, wie er sich
auflöste, selbst durchscheinend wurde. Die Schnecken schienen ihre Bemühungen
umzukehren. Hatten sie vorher etwas aus ihm herausgezogen, verhinderten sie
nun, dass ihn zu viel verließ. Helion erinnerte sich an einen Kameraden, der
verzweifelt versucht

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