Feind
hatte, mit den Fingern seine eigenen Gedärme in eine
klaffende Bauchwunde zurückzudrücken. Was war wohl aus ihm geworden?
Unwichtig.
Helion bewegte sich nicht weiter abwärts.
Sein Denken war ein beinahe verhalltes Echo des Bildes von
Ajina. Mehr gab es nicht. Die Schnecken waren erstarrt.
Irgendwann schien das Licht der drei Monde herauf. Vejatas Blau.
Stygrons Rot. Silions Silber wurde heller, immer heller. Gleißend. So präsent,
dass es wie eine Flüssigkeit wurde. Helion konnte seine Kühle auf seinem
Nicht-Körper spüren wie einen Frühlingsregen.
Das Silberlicht verdichtete sich, wurde kompakt wie der Strahl aus
einer Brunnenpumpe. Erst fiel es neben ihm in die Tiefe, dann änderte sich
seine Richtung. Es drang in die Wunde ein, die der Pfeil gerissen hatte. Kalt
wie Eis spülte das Licht sie aus. Sein Fluss versiegte, aber was in seine Brust
eingedrungen war, blieb wie ein Eiszapfen.
Stygrons rotes Licht wurde intensiver, hüllte ihn von allen Seiten
ein. Es wärmte ihn, was die Kälte in seiner Brust noch deutlicher spürbar
machte.
Nach einer Weile wurde Stygrons Leuchten zu einem Glimmen, war
schließlich kaum noch zu sehen. Stattdessen schien nun Vejata auf. Er berührte
Helion nicht, wie Silion es getan hatte, und badete ihn auch nicht in seinem
Licht, wie es bei Stygron geschehen war. Er war eine hell strahlende blaue
Kugel, etwas größer, als er in der Wirklichkeit erschien.
Helion hatte den Eindruck, dass Vejata auf ewig so verharren würde.
So wie er am Himmel stand, schwebte er auch in dieser Wirklichkeit. Er würde
nicht agieren, sich nicht auf Helion zubewegen.
Vejata wartete, und es lag an Helion, der Einladung zu folgen
oder sie auszuschlagen.
Unentschlossen betrachtete er die Erinnerung an Ajina. Die Bilder
schienen jetzt fern zu sein, aber sie waren da, und sie hatten ihre Farbe
behalten.
Vejata war über ihm, das Verlöschen, der Tod unter ihm. Eigentlich
war der Tod das ultimative Nichts. Er hatte keine Eigenschaften, denn wo es
keinen Vergleich gab, da konnte der Verstand nichts erfassen, nichts begreifen.
Dennoch fand Helion ihn … hässlich. Ehrfurchtgebietend, groß, erhaben, ja. Aber
auch abstoßend.
Er schwebte nach oben, Vejata entgegen, langsam erst, dann immer
schneller.
Der erste Atemzug war kalt in seinen Lungen. Er öffnete die Augen.
Die Helligkeit war ungewohnt, ebenso wie die Geräusche. Nur langsam
gewann die Umgebung an Schärfe. Er lag auf einem Bett und konnte aus einem
Fenster auf einige freistehende Häuser sehen, hinter denen sich die Bäume eines
dichten Waldes erhoben. Lachende Kinder spielten Fangen, wobei sie um einen
runden Brunnen liefen. Die Wände des Zimmers, in dem er sich befand, sahen
gewachsen aus, nicht gebaut. Sie glichen denen in Baron Trubers Palast. Er
befand sich in einem Baumhaus, geformt vom Gesang der Fayé. Die Häuser, die er
durch das Fenster sah, waren auf herkömmliche Weise errichtet worden.
Zwei Personen standen an seinem Lager, eine dritte saß neben ihnen.
Limoras erkannte er sofort. Er verband das Lächeln im Gesicht des Fayé mit
Spott. Das mochte daran liegen, dass sich Helion schlecht vorstellen konnte,
dass Limoras irgendwem gegenüber ehrliche, freundschaftliche Gefühle hegte.
Neben Limoras saß eine Frau, die Ähnlichkeit mit Deria hatte, jedoch
etwa zehn Jahre älter sein musste. Sie hatte die Arme verschränkt, sich aber
vorgebeugt, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie genau sehen wollte,
wie es um ihn bestellt war, oder doch lieber von sich fernhalten wollte, was in
diesem Raum geschah.
Bei der dritten Person blinzelte Helion. »Winena, seid Ihr das?«
Seine eigene Stimme klang fremd. Unmoduliert. Als hätte er geflüstert, obwohl
er halblaut gesprochen hatte.
»Was haben wir ihm angetan?« Die Frau sah ihn mit offenkundiger
Besorgnis an. »Wir sind zu weit gegangen.«
»Wann?«, fragte Limoras. »Und wer? Ihr doch nicht, Euer Gewissen ist
rein. Ich habe sie getötet. Allerdings, weil sie«, er sah auf die Frau hinab, die
Deria ähnelte, »darauf bestand.«
Helion setzte sich auf. Außer der metallischen Kälte in seiner Brust
spürte er kaum etwas. »Wen habt Ihr getötet?«
Limoras lachte auf. »Ihr wisst doch, welchem Gesetz die Magie folgt.
Lebenskraft nährt sie, egal, ob man selbst ihre Wunder wirkt oder Dämonen
hinzuruft.«
Dämonen … Er dachte an die
durchscheinenden Schnecken, die um ihn gewesen waren. »Dann sind Menschen für
mich gestorben?«
Limoras zuckte mit den Schultern.
Weitere Kostenlose Bücher