Feind
mochte. Oder vielleicht nicht vollzogen hatte,
schließlich traute auch Giswon ihm nicht. Helions Befehl schloss nicht nur ein,
Modranel so nah an Lisanne heranzubringen, dass er seinen Zauber auf sie werfen
könnte, sondern auch, den Mann zu töten, sollte sich dieser als Verräter
herausstellen. Manchmal ertappte sich Helion dabei, auf einen solchen Verlauf
der Dinge zu hoffen, um seinen Meister zu rächen. Natürlich war das töricht,
denn die Vernichtung einer Schattenherzogin war vielfach wichtiger als die
Gefühle eines Mondschwerts.
Und doch. Wenn es so käme, würde er ohne Zögern handeln müssen.
Vermutlich hätte er dann sehr wenig Zeit. Nichts durfte sich in seinen Weg
stellen. Wenn seine Hand zauderte, weil er sich dem Vater seiner Geliebten
verbunden fühlte, dann mochte das für den Zauberer reichen, um Helion
niederzustrecken. Wer wusste schon, über welche verfluchten Mächte er gebot?
Und wer wusste, was seine Tochter von ihm gelernt hatte? Vielleicht
war das, was Helion in Akene für sie gefühlt hatte, gar nicht echt gewesen?
Trieb sie ihren Spaß mit ihm? Hatte sie einen Zauber über ihn geworfen? Ihn
betört?
Bei klarem Verstand betrachtet war es doch lachhaft, sich so schnell
in eine Frau zu verlieben, die man gar nicht kannte! Und wenn sie ihn wirklich
geliebt hätte – hätte sie ihm dann nicht von sich aus von ihrem Vater
berichtet? Zumindest eine Andeutung gemacht? Eine ganze Nacht hatten sie
durchwacht am Ufer des Retadar, über Sterne philosophiert, die Wellen betrachtet,
Scherze über die Statuen der Honoratioren gemacht. Er hatte das Gefühl, ihr
sein ganzes Leben anvertraut zu haben, von den Erinnerungen an seine Kindheit
über die Tollheiten seiner Jugend bis zu der Zeit in der Kate mit Meister
Treaton. Und sie? Er fühlte sich betrogen.
Vor allem aber fühlte er sich leer. Daran änderte auch die Tatsache
nichts, dass sie den Hirsch fanden.
Das Tier hatte viel Blut verloren und war zusammengebrochen, lebte
aber noch. Seine Flanken bebten.
Pepp fingerte nach einem weiteren Pfeil, aber Helion schüttelte den
Kopf und reichte ihm den Hirschfänger. »Damit beendest du sicherer seine Qual.«
Pepp zog die Waffe, die geformt war wie ein Degen, aus der Scheide.
Seine Hand zitterte dabei, vielleicht wegen der Erschöpfung nach dem Lauf,
vielleicht auch, weil er nicht gewohnt war, ein Tier zu töten, das ihn aus
großen, angsterfüllten Augen ansah. Dann aber machte der Junge seine Sache gut.
Er stieß die Klinge sauber und fest in die Brust, bis sie von der Querstange
aufgehalten wurde. Der Hirsch rührte sich nicht mehr.
Sie brachen das Wild an Ort und Stelle auf, um sich auf dem Rückweg
das Gewicht der nicht nutzbaren Teile zu ersparen.
Helion versuchte, die Gedanken an Ajina zu verdrängen. Er erwog
sogar, eine der geistigen Übungen anzuwenden, die Treaton ihn gelehrt hatte, um
die Emotionen einzudämmen. Diese Litaneien waren vor Jahrhunderten entwickelt
worden, um ein Mondschwert vor der mystischen Kraft zu schützen, mit der die
Osadroi das Leben aus einem Menschen ziehen konnten. Nicht alles war darüber
bekannt, wie auch Giswon eingeräumt hatte, aber sicher war, dass die
Schattenherren Emotionen als Brücke benutzten, über die sie die Lebenskraft zu
rufen vermochten. Ohne Emotion gab es diese Brücke nicht.
Aber diese Litaneien waren zu aufwendig, als dass Helion sie hätte
wirken können, ohne dass Pepp und Estrog es bemerkt hätten. Zudem löschten sie
keine Gefühle aus, sondern stauten sie nur auf. Wenn die Wirkungsdauer dieser
Gnadengaben endete, kamen die Emotionen mit voller Wucht zurück, das Herz holte
nach, was ihm zuvor verwehrt geblieben war.
Also würde Helion seine Gefühle für Ajina ohne Hilfe der Göttin
verdrängen müssen. Dabei machte er sich allerdings wenig Hoffnung, denn vor
allem war er verwirrt. Da war diese Leere, die aber unecht schien, und dahinter
wartete die Liebe, die vielleicht auch eine zauberische Gaukelei war. Der
Rückweg zum Tross würde lang werden und arm an Abwechslung, dafür begleitet von
einem bittersüßen Schmerz, dachte Helion.
»Ich habe diesen Gegenstand bereits ausführlich mit Eurer
Heerführung erörtert.« Baron Trubers Stimme hatte den abfälligen Ton eines
Menschen, der es als Zumutung empfand, seine Zeit auf ein Thema verschwenden zu
müssen, das ihm keinen Vorteil brachte. »Beratet Ihr Euch nicht untereinander?«
»Mir ist daran gelegen, Eure Sicht der Dinge unmittelbar
kennenzulernen.« Phaistor war nicht
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