Feindberührung - Kriminalroman
Mantel und Pagels die Feldjacke ab und machte eine einladende Geste zur Bürotür.
Die beiden Männer traten in das Büro des stellvertretenden Kommandeurs.
Der Oberst bot Schubert mit einer Geste einen Sessel in der Ecke an. Er selbst nahm auf einem kleinen Sofa Platz; beide Möbel dürften aus den frühen Achtzigern des letzten Jahrhunderts stammen, was sie aber nicht zu Klassikern machte. Oberst Pagels rollte sein Barett sorgfältig zusammen und schob es in die Seitentasche seiner Feldhose. Kaum hatten die Männer Platz genommen, trat schon Frau Kniehans mit einem Tablett ein.
» Als wenn ich es geahnt hätte, Herr Abgeordneter. Heute früh habe ich auf dem Weg Ihre Lieblingskekse gekauft.«
Frau Kniehans stellte Tassen vor ihren Chef und den Besucher, eine Schale mit Gebäck, ein Kännchen Milch und den Zucker in die Mitte, und dann goss sie beiden aus einer Kunststoffthermoskanne Kaffee ein.
» Frau Kniehans, Sie sind die Beste. Wenn ich nicht ein Untergebener Ihres Chefs wäre«, dabei zwinkerte er Oberst Pagels zu, » würde ich Sie vom Fleck weg engagieren.«
» Und wenn mein Chef nicht ein so hervorragender Chef wäre, würde ich das Angebot ernsthaft erwägen«, lächelte Frau Kniehans charmant.
Oberst Pagels neigte dankend den Kopf, und Schubert hob beide Hände wie zur Kapitulation.
» Niemals würde ich jemanden zur Fahnenflucht überreden.« Mit gespielter Empörung schob er nach: » Als Major der Reserve.«
Frau Kniehans ging mit einem strahlenden Lächeln ab und schloss die Tür hinter sich.
» Sie könnten noch in diesem Jahr Oberstleutnant der Reserve werden. Überlegen Sie es sich, lieber Herr Schubert. Milch? Zucker?«
» Beides bitte.« Schubert seufzte. » Ich werde in meinem Kalender nachschauen, Sie haben ja recht, Herr Oberst. Gerade das Zusammensein mit den Kameraden befreundeter Streitkräfte ist doch immer ein besonderes Erlebnis.«
Oberst Pagels sah vor seinem geistigen Auge noch einmal in Zeitlupe das Bier auf den übervollen Ordensspangen der angloamerikanischen Eliteoffiziere aufspritzen und dann den etwas übergewichtigen deutschen Reservekrieger, der noch nicht einmal ein Sportabzeichen hatte, neben dem Kamin zusammensinken, das Knie in der eigenen Kotze.
» Und als Highlight machen Sie einen Tandemsprung. Raus aus der Maschine auf viereinhalbtausend Meter, fünfundvierzig Sekunden freier Fall, das ist ein großartiges Erlebnis.« Oberst Pagels tat sich einen Löffel Zucker in seinen Kaffee und rührte um. Das hatte er sich jetzt nicht verkneifen können, er wusste, dass Schubert schon bei einem kurzen Hubschraubermitflug während der letzten Übung heftige Schweißausbrüche bekommen hatte.
» Na ja, da muss ich aber erst mal mit meinem Hausarzt reden, Sie wissen ja, Bluthochdruck. Leider …«
Schubert machte ein Gesicht wie ein Generalstäbler, der einem Obergefreiten bedauernd erklärt, wie gerne er mit in die Schlacht zöge, wenn nicht so wichtige Aufgaben im Büro ihn daran hindern würden.
» Sie strotzen doch vor Gesundheit, lieber Herr Schubert, das geht schon klar.«
Beide Männer tranken von ihrem Kaffee. Schubert griff in die Keksschale und nahm sich drei Wiener Kringel heraus, die er dann nacheinander wegknabberte. Oberst Pagels beachtete die Kekse gar nicht. Er hatte bei einem Afghanistaneinsatz mehrere Male Lagebesprechungen mit dem US-General Stanley McChrystal miterlebt und den Mann äußerst beeindruckend gefunden. McChrystal lief täglich sieben bis acht Meilen und nahm nur eine Mahlzeit zu sich. Er war hager und asketisch und selten guter Laune, aber er wirkte auch mit Mitte fünfzig sehr spannkräftig und schien über unerschöpfliche Energie zu verfügen. Pagels hatte seitdem zumindest regelmäßig während der Woche das Mittagessen und den Nachmittagskaffee ausfallen lassen, was seiner Figur sehr guttat. Sport trieb er nicht so zwanghaft, drei Läufe von acht bis zehn Kilometern pro Woche genügten ihm, da war er mit fast fünfzig ja auch noch gut dabei. Und ein Kommando von der Größenordnung » Oberkommandierender der ISAF « , wie McChrystal es innegehabt hatte, war für Pagels in seiner verbleibenden Dienstzeit nicht wahrscheinlich. Er fand das nicht sonderlich bedauerlich, wenn man sich vor Augen führte, dass McChrystal schließlich von einem leibhaftigen US-Präsidenten vor der Weltöffentlichkeit zur Schnecke gemacht worden war, während Pagels sich in seinem Büro lediglich mit dem Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Schubert
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