Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Welche Menschen hatten Serracold sonst noch angegriffen, von denen man es eigentlich nicht erwarten sollte?
    Zögernd nahm Pitt die Zeitung wieder zur Hand und überflog den politischen Kommentar, die Leserbriefe, die Berichterstattung über die Reden von Bewerbern um einen Sitz im Unterhaus. Auf beiden Seiten gab es Lob und Tadel, doch das meiste war allgemein gehalten und richtete sich eher gegen die jeweilige Partei als gegen Einzelpersonen. Außerdem stieß er auf einige bissige Äußerungen über Keir Hardie und dessen Versuch, den Arbeitern eine neue Stimme zu verschaffen.
    Einem dieser Kommentare folgte ein persönlich gehaltener Brief, der die unmoralischen und auf eine Katastrophe abzielenden Ansichten des liberalen Kandidaten für South Lambeth geißelte und Sir Charles Voisey pries, weil dieser für den gesunden Menschenverstand statt für den Sozialismus eintrete, für Sparsamkeit, Verantwortungsbewusstsein, Selbstzucht und christliches Mitgefühl anstelle von Laxheit, Ichsucht und unerprobten gesellschaftlichen Experimenten, bei denen die Ideale der Redlichkeit und Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben würden. Gezeichnet war er von Reginald Underhill, Bischof der Anglikanischen Kirche.
    Selbstverständlich hatte dieser Mann einen Anspruch auf eine politische Meinung und darauf, sie wie jeder andere so offen zu äußern, wie ihm das richtig schien, ganz gleich, ob seine Worte durchdacht oder nur ehrlich gemeint waren. Aber tat er das aus eigenem Antrieb – oder weil man ihn dazu erpresste?
    Welche Gründe aber konnte es für einen Bischof geben, eine Spiritistin aufzusuchen? Sicherlich wäre ihm die bloße Vorstellung ein ebensolcher Gräuel gewesen wie Francis Wray.
    Noch während Pitt über die möglichen Hintergründe nachdachte, traf Mrs. Brody ein. Sie grüßte ihn höflich und blieb dann vor ihm stehen, wobei sie verlegen von einem Bein auf das andere trat.
    »Was gibt es, Mistress Brody?«, fragte er. Er war nicht in der Stimmung, sich den Kopf über häusliche Probleme zu zerbrechen.
    Sie sah bedrückt drein. »Tut mir Leid, Mister Pitt, aber nach dem, was heute in der Zeitung steht, kann ich hier nich mehr arbeiten. Mein Mann sagt, das gehört sich nich. Es gibt genug
Arbeit, un ich soll mir ’ne andre Stelle suchen. Sag’n Se Ihrer Frau, dass ich das sehr schade finde, aber ich muss tun, was er sagt.«
    Es hatte keinen Sinn, mit ihr darüber zu rechten. Ihr Gesicht wirkte zugleich trotzig und unglücklich. Aus Pitts Haus konnte sie fortgehen, aber nicht aus dem ihres Mannes. Mit ihm musste sie auskommen, ganz gleich, wie sie über die Sache denken mochte.
    »Dann gehen Sie besser«, sagte er ausdruckslos. Er legte zweieinhalb Shilling auf den Tisch, der Betrag, den er ihr für die bis dahin geleistete Arbeit schuldete. »Auf Wiedersehen.«
    Sie rührte sich nicht vom Fleck. »Ich kann nix dafür!«, sagte sie.
    »Sie haben sich entschieden, Mistress Brody.« Er sah sie zornig an. Die ihm angetane Kränkung und seine Hilflosigkeit brodelten in ihm. »Sie arbeiten seit über zwei Jahren hier und haben sich entschieden zu glauben, was in der Zeitung steht. Damit ist die Sache erledigt. Ich werde meiner Frau sagen, dass Sie fristlos gekündigt haben. Ob sie Ihnen eine Empfehlung schreibt oder nicht, ist allein ihre Angelegenheit. Allerdings bezweifle ich, dass Ihnen eine Referenz von ihr viel nutzen würde, denn schließlich halten Sie ja in gewisser Weise auch von ihr nicht viel, weil sie meine Frau ist. Schließen Sie bitte die Haustür, wenn Sie gehen.«
    »Was soll ich denn machen?«, fragte sie laut. »Ich hab doch keinen armen alten Mann in ’n Tod getrieben.«
    »Sie glauben also, dass ich ihn grundlos verdächtigt habe?«, fragte er. Seine Stimme klang lauter, als er beabsichtigt hatte.
    »So steht das da!« Sie sah ihn unverwandt an.
    »Wenn Ihnen das genügt, kann ich Sie nicht daran hindern, mich zu verurteilen und zu gehen. Wie gesagt, achten Sie bitte darauf, dass Sie die Haustür hinter sich zumachen. An einem solchen Tag kann jeder Beliebige mit finsteren Absichten von der Straße ins Haus kommen. Auf Wiedersehen.«
    Empört schnaubend nahm sie das Geld vom Tisch, drehte sich auf dem Absatz um und stapfte davon. Er hörte die Haustür laut ins Schloss fallen; zweifellos sollte das eine Botschaft an ihn sein, dass sie wirklich gegangen war.
    Nach einer quälenden Viertelstunde klingelte es an der Tür. Am liebsten hätte Pitt es überhört. Es klingelte erneut. Wer auch immer

Weitere Kostenlose Bücher