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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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unschicklich, eigene Unterhaltungen zu führen, während diese miteinander sprachen. Die Damen waren überzeugt, dass Frauen von Natur aus gut waren – zumindest die besseren unter ihnen; die Übelsten waren ohnehin der Quell der Verdammnis. Dazwischen gab es nicht viel. Doch ein guter Mensch zu sein war nicht dasselbe wie zu wissen, was darunter zu verstehen war. Frauen fiel die Rolle zu, Gutes zu tun, Männer hingegen die, darüber zu reden und erforderlichenfalls den Frauen zu sagen, wie sie es zu tun hatten.
    Da eine Beteiligung an der Unterhaltung von ihr nicht erwartet wurde und sie höchstens das Recht hatte, gelegentlich einen interessanten oder freundlichen Einwurf zu machen,
gestattete sie es ihren Gedanken, ziellos umherzuschweifen. Sonderbar, wie viele ihrer inneren Bilder mit fernen Orten zu tun hatten, vor allem mit dem Meer. Sie stellte sich die ungeheure Weite des Ozeans vor, den zu beiden Seiten nur der Horizont begrenzte, und überlegte, wie es wohl sein mochte, nichts als einige Decksplanken unter den Füßen zu haben, ständig in Bewegung zu sein, Wind und Sonne auf dem Gesicht zu spüren, zu wissen, dass man in der Enge des Schiffes alles mit sich führte, was man zum Überleben brauchte. Wie mochte es sein, wenn man seinen Kurs in der weglosen Unendlichkeit finden musste, die entsetzliche Stürme bereithielt und durchaus imstande war, das Schiff wie mit einer Riesenfaust zu zerquetschen? Bei anderen Gelegenheiten wieder konnte die See so ruhig daliegen, dass der Wind nicht ausreichte, die Segel zu füllen.
    Und was mochte es unter der Oberfläche geben? Schöne Lebewesen? Schreckliche? Unvorstellbare? Oben dienten als einziger Anhalt die Sterne am Himmel oder natürlich die Sonne und ein möglichst genau gehender Chronometer, vorausgesetzt, man verstand damit umzugehen.
    »… muss wirklich einmal jemand etwas darüber sagen«, betonte eine Frau in einem braunen Kleid mit tabakfarbener Spitze. »Wir verlassen uns auf Sie, Bischof.«
    »Gewiss, Mistress Howarth.« Er nickte weise und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. »Gewiss.«
    Isadora wandte den Blick ab. Sie wollte nicht in das Gespräch hineingezogen werden. Warum unterhielten sie sich nicht über den Ozean? Er war das ideale Bild für die Einsamkeit eines jeden Menschen auf der Lebensreise und zeigte, wie man alles, was man braucht, in sich selbst haben muss und die Richtung, die man einzuschlagen hat, ausschließlich in seiner Kenntnis des Himmels finden kann.
    Kapitän Cornwallis hätte sie verstanden. Sie errötete, als sie merkte, wie selbstverständlich ihr sein Name in diesem Zusammenhang eingefallen war und wie angenehm sie sich dabei fühlte. Sie kam sich wie durchsichtig vor. Hatte einer der anderen ihr Gesicht gesehen? Natürlich hatten sie und Cornwallis nie über dergleichen gesprochen, jedenfalls nicht offen, aber
ihr war klar, dass er ebenso empfand, und zwar deutlicher, als wenn man es mit Worten gesagt hätte. Er war imstande, mit einem oder zwei Sätzen vieles zu sagen, während all die Männer um sie herum den Abend in Worten ertränkten, mit denen sie fast nichts aussagten.
    Der Bischof redete immer noch. Sie konnte seinem selbstgefälligen Gesicht ansehen, dass er den anderen nicht zuhörte. Mit einem Entsetzen, das körperlich so spürbar war, als wimmele es in ihr von Insekten, ging ihr auf, dass sie ihn verabscheute. Wie lange empfand sie schon so? Erst seit sie John Cornwallis begegnet war oder auch schon früher? Worauf hatte sich ihr ganzes Leben gestützt, dass sie es täglich in der Gegenwart – sie konnte nicht gut Gesellschaft sagen – eines Mannes zugebracht hatte, den sie nicht wirklich mochte, geschweige denn liebte? Pflichtgefühl? Innere Disziplin? Hatte sie es vergeudet?
    Wie ihr Leben wohl ausgesehen hätte, wenn sie Cornwallis einunddreißig Jahre früher begegnet wäre?
    Sie hätte ihn damals wohl nicht geliebt und er sie vielleicht auch nicht. Sie beide waren so viel anders gewesen und hatten die Lektionen der Zeit und der Einsamkeit noch nicht gelernt. Ohnehin war es sinnlos, darüber zu spekulieren. Keine Vergangenheit lässt sich je ungeschehen machen.
    Doch die Zukunft konnte sie nicht auf die gleiche Weise abtun. Wenn sie nun mit dieser Farce Schluss machte und einfach davonginge? Wäre das möglich? Zu Cornwallis gehen? Natürlich hatte keiner von beiden je über eine solche Möglichkeit gesprochen – so etwas war undenkbar –, aber ihr war klar, dass er sie liebte, wie auch

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