Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
Apartment im selben Gebäude und Stockwerk, in dem Agent Kendrick wohnt«, sagte Marshall zu meiner Überraschung. »Dort können Sie in der Woche wohnen.«
Marshall winkte Kendrick heran und berichtete ihr von dem Unterbringungsplan, dann sah er sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Wie mir zu Ohren gekommen ist, haben Sie eine Aufgabe von Ihrem Partner bekommen, die zu erfüllen Sie sich geweigert haben. Ist das wahr?«
Sie schaute zu Boden. »Ja.«
»Zur Strafe werden Sie zwölf Stunden lang Leichen in der Anatomie des Krankenhauses der New York University nach der Obduktion wieder zunähen«, giftete er sie an. »Dr. Melvin wird das überwachen.«
Aus Kendricks Gesicht wich alle Farbe, und ich fühlte mich wie das größte Arschloch aller Zeiten. Den Blick weiterhin zu Boden gerichtet, murmelte Kendrick: »Ja, Sir.«
Kaum war Marshall ein Stück von uns weggegangen, zupfte ich an Kendricks Ärmel. »Du hast ein Apartment in New York? Wohnst du denn da?«
»Ja.«
»Wo? Warum hast du mir nie was davon erzählt?«
»Weil du nie gefragt hast.« Sie seufzte und sagte, ohne mich anzusehen: »Ich wohne im East Village.«
»Im East Village?«
Sie verdrehte die Augen. »Ich studiere Medizin. Das war dir ja wohl bekannt, und die NYU liegt da in der Nähe.«
Ja, Dad hatte mir von ihrem Studium erzählt. Und weil er mir diese Information gegeben hatte, musste sie jetzt lauter obduzierte Leichen zunähen. Ich schwieg, um sie nicht noch wütender zu machen. Als ich aus der Tür ging, hörte ich Dad: »Jackson?«
Ich drehte mich um, doch Chief Marshall stand mit vor der Brust verschränkten Armen zwischen uns. Dads gequälte Miene sorgte dafür, dass mir noch übler wurde als ohnehin schon.
»Ja, Dad?«
»Pass auf dich auf.«
»Ja, mache ich.« Ich ging, holte Kendrick ein und beschloss, ihr noch eine Antwort mehr aus der Nase zu ziehen: »Beunruhigt dich das nicht, dass wir nach Hause fahren? Vielleicht begegnest du dort, während du auf einer geheimen Agentenmission bist, Leuten, die du kennst.«
»Der siebenstündige Flug macht mir weitaus mehr Sorgen.« Sie öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und ging hinein. Ich konnte nur raten, wie sie das gemeint haben könnte.
6
10. Juni 2009, 19:00 Uhr
Es dauerte anderthalb von sieben Flugstunden, bis ich begriff, was Kendrick gemeint hatte. Noch nie habe ich jemanden so unter Reiseübelkeit leiden sehen.
»Wir sind doch schon Dutzende Male zusammen im Hubschrauber geflogen. Wie kommt es, dass dir dieser Flug mehr ausmacht?«, fragte ich sie, während sie sich über den Mülleimer beugte, den ich wenige Minuten zuvor aus der Toilette geholt hatte.
»Zuerst geht’s mir immer gut. Etwa eine Stunde lang, dann passiert es einfach.« Sie beugte sich noch tiefer über den Eimer, während sie das loswurde, was auch immer noch in ihrem Magen war.
Zum Glück war das eine Regierungsmaschine. Obwohl Kendrick protestierte, winkte ich Dr. Melvin heran. Sie wischte sich mit einem Papiertaschentuch den Mund ab, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
»Sie müssen ihr helfen. Seit zwei Stunden übergibt sie sich pausenlos. Ungefähr neunzig Minuten nach dem Start hat es angefangen«, sagte ich zu ihm.
»Ich hab was, das gegen die Übelkeit hilft und ihr ein bisschen Schlaf bringt.«
Kendrick schüttelte heftig den Kopf. »Ich wette, in der Sekunde, in der ich einschlafe, taucht einer von diesen verdammten Zeitreisenden hier im Flieger auf und bringt mich um.«
»Ist so was denn schon vorgekommen? Haben die EOTs schon mal ein Flugzeug in der Luft angegriffen?«, fragte ich Melvin.
Er musste sich ein Lachen verkneifen. »Nein, ganz und gar nicht, Agent Meyer.«
»Trotzdem«, sagte Kendrick und griff erneut nach dem Eimer.
Ich hielt ihr die Haare aus dem Gesicht. »Ich glaube, du hast jetzt genug gelitten.«
Ich nickte Melvin zu, der kurz wegging und mit einer aufgezogenen Spritze zurückkehrte. Die stach er ihr in den Arm, und Sekunden später schlossen sich ihre Augen. Ich erhob mich von meinem Platz und stellte die Armlehne hoch, damit sie sich über beide Sitze legen konnte.
Melvin warf eine Decke über sie und lächelte. »So friedlich hat sie wahrscheinlich schon seit über einem Monat nicht mehr geschlafen.«
Ich stolperte durch den Gang und setzte mich auf den einzigen noch freien Platz, neben Stewart. Dann lehnte ich mich zurück und schloss die Augen, doch ich wusste, dass ich nicht würde schlafen können. Wie lange war es her, dass ich tief und fest
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