Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
Das war kein Halbsprung.
»Warten Sie«, sagte Eileen, die angerannt kam. »Bitte, tun Sie ihnen nichts!«
»Ich kann’s! Du lieber Himmel, ich kann’s!« Ich musste mich an der Wand abstützen. »1992? Zwei, da bin ich zwei. Er ist zwei.«
Eileen schnappte nach Luft, und sofort wurde mir klar, was ich getan hatte. Die Angst wich aus ihrem Gesicht; stattdessen standen jetzt Schrecken und Ungläubigkeit darin. »Gott, das kann nicht sein. Du kannst nicht –« Sie trat näher, nahm mein Kinn und drehte meinen Kopf von einer Seite zur anderen. »Jackson?«
Ich nickte langsam und wartete auf ihre Reaktion. Alles, was ich hier tue, verändert die Zukunft. Das hier ist real.
Ihre Hände glitten über mein Gesicht und studierten es sehr genau. »Unglaublich. Geht es … geht es dir gut?«
»Ja.« Ich blieb absolut still stehen und wusste weder, was ich denken, noch, was ich fühlen sollte. Ich schaute durch den Flur. »Soll ich gehen?«
»Nein«, sagte sie rasch. »Noch nicht, bitte! Aber wollen wir uns vielleicht setzen?«
Eigentlich musste ich dringend über all das nachdenken. Ich kann den Thomas-Sprung. Doch stattdessen schweiften meine Gedanken ab. Sie ist meine Mutter.
Ich nickte erneut und folgte ihr ins Wohnzimmer. Wir setzten uns mit möglichst weitem Abstand voneinander aufs Sofa. Erst als sie sie mir aus der Hand nahm, wurde mir bewusst, dass ich immer noch die Pistole darin hielt. Kein Wunder, dass sie Panik bekommen hatte, als ich wie ein Tötungskommando ins Zimmer von meinem jüngeren Ich und von Courtney gestürmt war. Sie legte die Waffe auf den Couchtisch, nahm mein Handgelenk, drückte ihre Finger darauf und schaute auf die Wanduhr.
Sie prüft meinen Puls.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber ich konnte auch nicht aufhören, sie anzustarren, und verspürte kein Bedürfnis, wieder zu gehen. Eigentlich ja auch kein Wunder, dass ich neugierig auf die Frau war, die mich geboren und die ersten zwei Jahre großgezogen hatte. Und zugelassen hatte, dass ich ihr als Zweijähriger Sand auf den Kopf gestreut hatte.
Außerdem war sie Dads Holly.
Eileen atmete tief durch. »Weißt du, wer diese Frau war, die da eben verschwunden ist?«
»Ja, Dr. Melvin hat es mir erzählt.«
Sie hatte braune Augen, hellbraune, fast wie Karamell. Und Sommersprossen auf der Nase. Aber nur einige wenige.
Wieder legte sie ihre Hand an mein Gesicht. »Du siehst so … gut … aus. So erwachsen. Wie alt bist du?«
Ich spürte, wie sich meine Stirn in Falten legte. Ein Kater von dem ganzen Alkohol, den ich getrunken hatte, sorgte für einen stechenden Schmerz zwischen meinen Augen. Ein Beweis mehr, dass das kein Halbsprung gewesen war. »Irgendwas zwischen neunzehn und zwanzig, glaube ich. Die Frage ist für mich schwer zu beantworten.«
Sie ließ den Blick sinken und legte ihre Hände in den Schoß. »Aber wahrscheinlich nicht so schwer wie andere Fragen. Wie zum Beispiel diese: Warum siehst du mich so an?«
»Wie denn?«
Als ich ihre Miene sah, wusste ich sofort, was sie meinte.
Ich sehe sie an, als würden wir uns in der Zukunft nicht kennen.
Ich machte den Mund auf und versuchte mir eine Erklärung auszudenken, so wie damals, als ich Courtney bei einem Halbsprung besucht hatte.
Eileen schüttelte den Kopf und hielt abwehrend die Hand hoch. »Ist schon okay, Jackson. Du solltest nicht derjenige sein müssen, der mir so eine Nachricht übermittelt.«
Wusste sie, dass sie sterben würde? Und wusste sie dann auch, wann?
Ich legte den Kopf in den Nacken und schloss kurz die Augen. »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich konnte noch nie etwas verändern. Was, wenn es alles noch schlimmer macht? Was, wenn es alles besser macht? Was, wenn ich nie wieder die Gelegenheit dazu bekomme?«
Die Verantwortung lastete schwerer auf mir, als ich je gedacht hätte. So schwer, dass ich sie fast nicht haben wollte, auch wenn ich wusste, was das für mich und mein Leben bedeuten konnte.
Sie nahm meine linke Hand und drückte sie. »Warum erzählst du mir nicht die ganze Geschichte. Fang mit deinem ersten Sprung an. Wie alt warst du da?«
»Achtzehn«, sagte ich und schlug die Augen wieder auf. »Aber das ist eine lange Geschichte. Und es gibt Teile, die ich dir nicht erzählen kann.« Die ich dir nicht erzählen will.
»Ich hab Zeit. Dann erzähl mir eben das, was du erzählen kannst«, erwiderte sie lächelnd.
Ich trank den letzten Schluck aus dem Becher Kaffee, den Eileen mir gebracht hatte, und stellte ihn
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