Feinde der Zeit: Roman (German Edition)
Unterbewusstsein verborgen gewesen war.
Bis zu diesem Moment.
12
Zunächst hörte ich nur Cassidys lautes Schreien. Sie ließ mein Handgelenk los und sank auf die Knie. Ihre Augen traten aus den Höhlen hervor.
Wo sind wir?
Ich schaute mich rasch um und registrierte erschrocken, dass ich diesen Raum kannte; wir befanden uns in Dads Küche. Unserer Küche. Aber sie sah anders aus.
Cassidy betrachtete ihre Arme, und ich folgte ihrem Blick. Sie waren von blauen und lila Streifen überzogen, die wie spontan entstandene Blutergüsse aussahen. Mir wurde übel, und diese Übelkeit hatte nichts mit dem Sprung zu tun.
Hatte ich das getan? War das passiert, als ich unseren Sprung von dem Ort, an den sie wollte, hierher umgelenkt hatte? Dann hörte ich jemand anderes laut nach Luft schnappen. Als ich aufblickte, sah ich eine Frau mit braunen Haaren in der Tür stehen; ihre Augen quollen vor Schreck fast ebenso hervor wie Cassidys.
Eileen. Bedeutete das, dass wir in einer Zeit vor 1992 gelandet waren? Vielleicht war das hier auch eine andere Zeitleiste, und es hatte sich einiges verändert; vielleicht lebte Eileen in einem Paralleluniversum auch nach dem Oktober 1992 noch. Das war definitiv ein ganzer Sprung gewesen. Aber woher sollte ich wissen, ob es ein Thomas-Sprung war?
Cassidy schrie erneut, und ich sank neben ihr zu Boden. »Was zum Teufel ist passiert? Was ist mit dir?« Fast wünschte ich, mein Groll gegen sie wäre größer gewesen, denn dann hätten mir ihre Schreie nichts ausgemacht, doch so war es nicht. Aber bevor sie antworten konnte und bevor ich auch nur den Versuch unternehmen konnte, ihr zu helfen, verschwand Cassidy wieder.
Ich stand nach Luft ringend in dieser Küche und merkte, wie mein Puls allmählich langsamer wurde, während Eileen mich mit offenem Mund anstarrte.
Ich ging mit zitternden Knien auf sie zu. Von nahem hatte ich sie noch nie gesehen. Jedenfalls nicht in einem Alter, das mir eine Erinnerung daran ließ.
Mein Verstand sagte mir, dass ich das besser nicht tun sollte, es war mir in diesem Moment geradezu schmerzlich bewusst, aber etwas anderes war stärker, und ich setzte einen Fuß vor den anderen und ging auf sie zu.
Eileen hielt den Atem an und hob langsam die Hände, als wäre ich ein Polizist, der ihr den Befehl dazu gegeben hätte. »Warten Sie, bitte, ich –«
Ungefähr einen halben Meter vor ihr blieb ich stehen. »Ich wünschte, ich könnte mich noch an irgendwas erinnern«, sagte ich leise, eher zu mir selbst als zu ihr.
Eileen ließ die Hände sinken und sah mich neugierig an. »An was wollen Sie sich erinnern?«, fragte sie, und jetzt hörte ich ihren schottischen Akzent.
Sie versuchte Zeit zu schinden. Hatte sie jemanden alarmiert, irgendein Notrufsignal abgesetzt? »Welches Jahr ist das hier?«
Sie zögerte kurz und antwortete dann: »1992.«
Das Jahr, in dem sie gestorben war.
»Welcher Monat?«, fragte ich nervös.
»Juli. Der dreizehnte Juli«, brachte sie krächzend hervor.
Und plötzlich wusste ich, wie ich herausfinden konnte, ob ich einen Thomas-Sprung gemacht hatte. Ohne dass sie eine Chance gehabt hätte, mich aufzuhalten, stürzte ich an ihr vorbei und lief durch den Flur zu den Schlafzimmern. Erst im dritten Zimmer fand ich, was ich suchte. Neben einer Pu-der-Bär-Lampe auf der Kommode stand ein Kassettenrecorder und spielte leise klassische Musik.
Ich vergaß das Atmen, während ich den kleinen Jungen anstarrte, der auf dem Rücken schlafend in einem winzigen Bett lag. Seine Haare waren verschwitzt, und er hatte die Decke nach unten gestrampelt; der Reißverschluss seines einteiligen Schlafanzugs war bis zum Hals geschlossen.
Der Agent in mir war hellwach, trotz des Schreckens, den mir das einjagte, was ich da tat. Meine Augen hatten innerhalb weniger Sekunden die Einrichtung des Zimmers erfasst; zwei Kommoden, ein Wickeltisch, ein zweites kleines Bett mit einer rothaarigen kleinen Gestalt darin, die einen lila Pyjama trug und sich, mit einer Puppe unter dem Arm, zusammengerollt hatte. Courtney.
Dann betrachtete ich wieder die jüngere Version von mir selbst, während mir durch den Kopf ging, was Dr. Melvin neulich zu mir gesagt hatte: Wenn du in der Lage wärst, dasselbe zu tun wie Thomas, und, sagen wir, fünf Jahre in die Vergangenheit zurückspringst, würdest du dir selbst begegnen .
Was ich da sah, war definitiv eine andere Version von mir selbst, während ich hier und jetzt das Gewicht und die Gegenwart meines gesamten Körpers spürte.
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