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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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oben irgend etwas los war; Stimmen und Gelächter kamen von der langen
Aussichtsgalerie. Ich hielt mich dicht an der Wand, wo man mich von oben nicht
sehen konnte, ging zu dem Bus und klopfte leise an die Hecktür.
    Ein Mann mit militärisch-kurzgeschorenem
weißem Haar und einer silbernen Drahtbrille lugte heraus. Er war glattrasiert,
ordentlich gekleidet und roch leise nach Bourbon. Im Hintergrund lief ein
Fernseher — irgendein Reise-Feature.
    »Sind Sie Cap?« fragte ich.
    »So nennen sie mich.«
    Ich stellte mich vor und fragte ihn, ob
ich mit ihm reden könne. Cap nahm meine Karte und inspizierte sie, nickte dann
und streckte die Hand aus, um mir in den Bus zu helfen. Es war eine
Sonderanfertigung, mit drehbaren Vordersitzen, die zugleich als Sessel
fungierten; der kleine Fernseher stand auf einem ausklappbaren Tisch an der
einen Längswand; den mit Teppichboden ausgelegten Heckraum umgaben
Einbaukästen, die offenbar als Stauraum dienten. Nicht gerade der Unterschlupf
eines gewöhnlichen Landstreichers.
    Cap drehte den Beifahrersitz so, daß
ich darauf Platz nehmen konnte, und offerierte mir einen Drink. Als ich
ablehnte, goß er sich aus einer Flasche neben dem Fernseher einen strammen
Bourbon ein und ließ sich damit auf dem Fahrersitz nieder.
    »Gut, daß Sie vorbeigekommen sind«,
sagte er. »Ich habe die Sendung schon mal gesehen, und es wurde mir schon
langsam langweilig.« Er nahm eine Fernbedienung von einer Konsole zwischen uns
und stellte den Ton ab; das Bild flimmerte weiter — Tiere in einer fernen
Steppe.
    Für einen Menschen, der illegal in
seinem Bus lebte, war Cap einer fremden Person gegenüber erstaunlich offen und
vertrauensselig. Ich fragte: »Wie machen Sie das, daß Sie hier stehen können?«
    »Ich habe einen Nacht-Parkschein vom
Seniorenzentrum. Sie sind unterbesetzt. Ich helfe montags immer aus, und dafür
kriege ich für diese eine Nacht den Schein.«
    »Und die anderen Nächte?«
    Er lächelte, erfreut über mein
Interesse. »Ich habe überall hier am Wasser ähnliche Arrangements. Das ist das
freieste Leben, das ich führen kann, jetzt, wo ich zu alt bin, um zur See zu
fahren.«
    »Ich habe gehört, daß Sie und mein
Freund T. J. Gordon interessante Gespräche darüber geführt haben, wie der Hafen
hier früher aussah.«
    Cap runzelte die Stirn; der Name sagte
ihm offensichtlich nichts.
    Ich zog das Foto von Suits aus meiner
Umhängetasche und reichte es ihm. Er hielt es ins Licht des Fernsehers. »O ja,
faszinierender Bursche. Habe seinen Namen nie mitgekriegt.« Er gab mir das Bild
zurück und fügte hinzu: »Ist schon eine ganze Weile her, daß ich ihn das
letztemal gesehen habe. Wie geht’s ihm?«
    »Nicht besonders.« Ich erzählte ihm,
was Suits seit dem Sommer widerfahren war.
    Die Falten auf Caps Stirn vertieften
sich. Er leerte seinen Bourbon und goß sich einen neuen ein. »Auch wenn ich
seinen Namen gewußt hätte, wär das nicht zu mir durchgedrungen. Ich sehe keine
Nachrichten und lese keine Zeitung; in meinem Alter verkraftet man nicht mehr
so viel Mord und Totschlag und Weltuntergang. Aber ich wußte, daß er — T. J.,
war’s das? — Probleme hatte, und als er donnerstags nicht mehr kam, hab ich mir
schon gedacht, daß bei ihm was schiefgelaufen ist.«
    »Sie haben ihn immer donnerstags
gesehen?«
    »Na ja, meistens. Drunten in Mission
Rock, da habe ich ein Arrangement mit einer kleinen Reparaturwerft.«
    »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
    Cap dachte nach. »Im August. Am
vorletzten Donnerstag im August. War das einzige Mal, daß er richtig von seinen
Problemen geredet hat.«
    Bevor er dann, randvoll mit Bourbon,
bei Carmen aufkreuzte. Ich sah auf Caps Flasche. »Merkwürdig«, sagte ich, »wo
er doch so ein verschlossener Mensch ist.«
    Cap rieb sich nachdenklich das Kinn.
»Tja, meiner Erfahrung nach müssen auch die verschlossensten Leute manchmal
ihre Sorgen loswerden, und den meisten fällt es leichter, sich einem Fremden
anzuvertrauen, als jemandem, den sie gut kennen. Ich zum Beispiel vertraue mich nur Fremden an. Und Ihr Freund T. J. hatte einen ganzen Sack voller
Probleme, die ihn drückten.«
    »Er hat Ihnen von den Anschlägen auf
sein Leben erzählt? Und von den geplatzten geschäftlichen Vereinbarungen?«
    Er nickte.
    »Sonst noch was?«
    »...Ich will keine vertraulichen Dinge
ausplaudern.«
    »Cap, T. J. ist seit einigen Tagen auf
einem äußerst selbstzerstörerischen Kurs. Sie könnten mir vielleicht etwas sagen,
was mir einen Hinweis

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