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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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einen
Zusammenstoß mit jemandem, der ihn nicht leiden kann.« Ihrem Ton entnahm ich,
daß sie das nicht weiter verwunderte. Sie setzte hinzu: »Er hat der Polizei
alles zu Protokoll gegeben und kann jetzt nach Hause.«
    Suits sagte: »Ich habe Miss Lubbock
schon gefragt, ob sie vielleicht mit Schwester Ratchet verwandt ist. Sie
leugnet jede Verwandtschaft, aber ich hätte schwören können.«
    Schwester Ratchet — die dicke
Krankenschwester aus ›Einer flog übers Kuckucksnest‹. Kein Wunder, daß
Miss Lubbock so verkniffen geredet hatte! Ich musterte sie. Sie zuckte die
Achseln und sah mich leidgeprüft an. Dann schob sie den Rollstuhl in Richtung
Ausgang. Ein Pfleger kam hinzu, ich fuhr meinen MG vor, und zu dritt bugsierten
wir Suits auf den Beifahrersitz. »Viel Glück, Schätzchen«, sagte Miss Lubbock
zu mir, als sie die Wagentür zuknallte.
    Ich ging auf die Fahrerseite und stieg
ein. »Warum mußtest du diese Frau piesacken?« fragte ich. »Weißt du nicht, daß
ihr Job schon schwer genug ist, auch ohne Patienten, die billige Witze auf ihre
Kosten machen?«
    Suits sackte in sich zusammen. »Tut mir
leid. Sie erinnert mich an meine Mutter.«
    Ich war baff. Natürlich hatte Suits
eine Mutter, aber ich konnte mir um nichts in der Welt vorstellen, wie sie wohl
war und wie das Verhältnis der beiden aussehen mochte. Er hatte nie ein Wort
über seine Familie gesagt. Ich reagierte dennoch nicht weiter auf diese
Bemerkung und fragte: »Könntest du mir jetzt bitte erklären, was passiert ist?«
    Er preßte die freie Hand auf das
geschwollene Auge, und für einen Moment versteifte sich sein Körper vor
Schmerz. Er seufzte und entspannte sich wieder ein bißchen. »Ich hatte eine
Essensverabredung mit einem meiner Geldgeber. Kam so um halb zwölf heim. Der
Scheißkerl war in meiner Wohnung.«
    »Du meinst, derjenige, der dir das angetan
hat?«
    Er nickte. »Hat mich zusammengeschlagen
und mir den Arm gebrochen.«
    »Herrgott noch mal, was ist eigentlich
mit dem Wachdienst in diesem Gebäude?«
    Der Zorn in meiner Stimme rüttelte ihn
auf; er sah mich an, eine Augenbraue hochgezogen. Dann sagte er: »Das möchte
ich auch wissen.«
    »Hast du den Angreifer gesehen?«
    »War zu dunkel. Ich bin ohnmächtig
geworden. Als ich wieder zu mir kam, habe ich über das Haustelefon den Portier
alarmiert. Er hat den Krankenwagen gerufen.«
    »In diesem Bay Vista bist du offenbar
nicht sicher. Ich bringe dich besser in ein Hotel.«
    »Hotel?« Er lachte rauh. »Kein
anständiger Laden nimmt mich in diesem Zustand. Und die Zeiten, da es mir
nichts ausgemacht hat, in irgendwelchen Absteigen zu nächtigen, sind schon eine
Weile vorbei.«
    »Vielleicht zu einem deiner
Mitarbeiter? Einem Freund?« Noch während ich es sagte, wurde mir klar, wie
unrealistisch dieser Vorschlag war — und wohin er führen würde.
    »Nimm mich mit zu dir, Sherry...
Sharon.«
    »Suits, ich habe ein kleines Häuschen,
und mein Neffe wohnt zur Zeit bei mir. Ich habe keinen Platz.«
    »Ich schlafe auf der Couch, auf dem
Fußboden. Ich habe sonst niemanden, an den ich mich wenden kann.« Das
Geständnis war ihm peinlich, er sah weg.
    Ich guckte auf seinen Hinterkopf. Sein
Haar stand wirr in die Gegend und gab ihm etwas Verletzliches. Und plötzlich
waren all die Lichtjahre wie ausgelöscht, und ich fand mich wieder in die Nacht
jener unseligen Halloween-Party zurückversetzt.
    Suits war als Troll verkleidet zu der
Party gekommen, aber niemand bemerkte, daß es sich um eine Kostümierung
handelte. Die Erkenntnis, daß sich seine Normalaufmachung nicht wesentlich von
der eines Wesens unterschied, das die meiste Zeit unter einer Brücke hauste,
deprimierte ihn; er flüchtete sich auf die Treppe des großen Hauses an der
Durant Avenue und beobachtete die anderen durch die Spindeln des
Treppengeländers. Ich kam spät von einer meiner Wachdienst-Schichten zurück,
und alle hielten meine Uniform für eine Kostümierung; die Erkenntnis, daß meine
Arbeitsaufmachung wie ein Gag wirkte, deprimierte mich, und ich setzte
mich zu Suits, um mit ihm einen Joint zu teilen. Nach einer Weile hatte irgend
jemand — ich glaube, Hank — Erbarmen mit uns und brachte uns eine Flasche Carlo
Rossi, die wir ebenfalls teilten, und für den Rest des Abends begnügten wir uns
damit, die Party durch die Stäbe unseres selbstgewählten Gefängnisses zu
verfolgen. Als ich schließlich aufstand, um nach oben in mein Zimmer zu wanken,
sah Suits mich an, und die nackte Einsamkeit in seinen

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