Feinde kann man sich nicht aussuchen
Arbeit
gehe.«
Tja, manchmal passierte es einem, wenn
man Dinge für andere tat, daß man etwas dafür zurückkriegte.
6
Suits’ Anruf kam so etwa um zehn vor
zwei in der Nacht. Aus irgendeinem Grund hatte ich den Apparat in meinem
Schlafzimmer leisegestellt, so daß ich nichts hörte, bis Mick — mit der
erschrockenen Miene eines Menschen, der nicht an nächtliche Anrufe gewöhnt ist
— an meine Tür pochte. Ich grabschte mir den Hörer und bedeutete Mick mit einer
Handbewegung, es sei alles okay, und er könne wieder ins Bett.
Suits’ Stimme war schmerzerstickt. »Tut
mir leid, wenn ich dich wecke, aber ich brauche —«
Der Rest ging in Sirenengeheul unter.
Ich setzte mich auf, den Hörer fest umklammert. »Wo bist du?«
»San Francisco General Hospital.
Notfallambulanz. Kannst du mich abholen?«
»Sicher. Was ist passiert?«
»Kann jetzt nicht — sie bringen mich
zum Röntgen.«
»Aber —«
Er legte auf und ließ mich mit meinen
Fragen allein. Während ich aufstand und in meinem Kleiderschrank wühlte, befand
ich, daß er nicht allzu schwer verletzt sein konnte, da er ja immerhin noch in
der Lage gewesen war zu telefonieren. Aber der Schmerz in seiner Stimme ließ
mich doch hastig in Jeans und Pullover fahren.
Als ich bei dem großen Backsteinbau am
Fuß des Potrero Hill ankam, waren die Lampen auf dem Parkplatz in dichten Nebel
gehüllt. Ein paar weißbekittelte Sanitäter lehnten an einem Krankem wagen vor
der Notfallambulanz, aber sonst sah ich niemanden. Die Haupt-Unfallklinik der
Stadt kann zu jedweder Tages- und Nachtzeit das reinste Tollhaus sein, vor
allem an Wochenenden und Feiertagen, aber manchmal ist sie auch friedlich wie
eine Kirche nach Gottesdienstschluß. Die Stille erinnerte mich an eine andere
Nacht, in der ich hier auf Auskunft über Hank Zahns Zustand gewartet hatte,
nachdem er von einer Kugel getroffen worden war, vor der ich ihn hätte schützen
sollen. Die Erinnerung setzte mir immer noch zu, also schob ich sie weg.
Ich ging direkt zur Information und
fragte nach Suits. Mr. Gordon, sagte die Schwester, die für die Aufnahme
zuständig war, sei noch im Untersuchungszimmer. Ich setzte mich ganz an den
Rand der nächsten Stuhlreihe und mied die Blicke des guten Dutzends Leute, die
hier warteten. Die meisten gehörten ethnischen Minderheiten an, und ein paar
hatten kleine Kinder dabei. Ein kleiner Junge schlief, auf einem Mantel
zusammengerollt, auf dem Fußboden; ein Baby greinte. Hinter mir schwadronierte
eine Frauenstimme über die Qualität der ärztlichen Versorgung in den
verschiedenen Krankenhäusern der Bay Area; ich merkte bald, daß diese Frau ein
Ambulanz-Junkie war.
Das ist, wie mir eine Krankenschwester
aus meinem Bekanntenkreis erklärte, ein trauriges und erschütterndes Phänomen.
Diese Leute hungern nach Aufmerksamkeit, deshalb erfinden sie irgendwelche
Beschwerden, und wenn die Einsamkeit sie aus ihrer Wohnung treibt, suchen sie
die nächste Notfallambulanz auf. Das Personal erkennt sie rasch; bei der
Aufnahme setzt man sie ganz unten auf die Dringlichkeitsliste, in der Hoffnung,
daß sie aufgeben und heimgehen. Aber die meisten sind es zufrieden, im
Warteraum zu sitzen. Sie reden mit jedem, der bereit ist, ihnen zuzuhören,
nerven diejenigen, die sich Sorgen um Freunde oder Angehörige machen, und
treiben letztlich die Gesundheitskosten in die Höhe. Wenn sie eine Klinik leid
sind, suchen sie sich die nächste, immer auf der Suche nach jemandem, der
endlich ihr wahres Leiden diagnostiziert. Chronische Einsamkeit, eine uralte
Krankheit und eine, die zu behandeln unser Gesundheitssystem nicht gerüstet
ist.
Aber Mitgefühl hat Grenzen, und meins
erschöpfte sich während der nächsten vierzig Minuten, die diese Frau dazu
nutzte, in einem fort zu erzählen, welcher Art ihre Symptome waren und was die
Ärzte letzte Woche im Kaiser Foundation Hospital dagegen unternommen hatten.
Als eine mütterlich-runde, blonde Krankenschwester Suits’ Rollstuhl durch die
Schwingtür schob, war ich mehr als willens, diesen Ort möglichst schnell zu
verlassen. Suits’ linker Arm lag eingegipst in einer Schlinge; sein bleiches
Gesicht war um das linke Auge herum aufgeschürft und lila, und seine Unterlippe
war aufgeplatzt. Als ich auf die beiden zuging, stoppte die Schwester den
Rollstuhl.
»Was ist denn passiert?« fragte ich.
»Lange Geschichte.« Er zog eine
Grimasse und deutete mit einem Augenzucken auf die Schwester.
Die sagte: »Mr. Gordon hatte
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