Feinde kann man sich nicht aussuchen
Augen veranlaßte mich,
ihm die Hand hinzustrecken. Jetzt merkte ich mit Erstaunen, daß ich weder
diesen Akt mehr bereute noch irgendeinen der nachfolgenden.
Und ich merkte auch, daß ich Suits’
Fall übernehmen wollte.
Ich rechnete nicht damit, daß Suits
meinem Heim irgendeine Form von Aufmerksamkeit schenken würde; er hatte
schließlich Schmerzen und war — entgegen seinen Beteuerungen — sichtlich
erschöpft. Aber er sah sich interessiert um und gab sich ganz entzückt von
meinem Häuschen. Seine Schmeichelei versöhnte mich irgendwie mit seiner
Anwesenheit, und während mir mein angeborener Zynismus sagte, daß genau das
seine Absicht war, erbot ich mich doch, ihm die Couch herzurichten und ein paar
von den Schmerztabletten zu holen, die noch von meiner letzten Zahnbehandlung
übrig waren. Er lehnte die Pillen ab, überwachte das Herrichten des Betts und
fragte dann, ob er vielleicht einen Kaffee haben könne. Ich setzte eine Kanne
für ihn auf. Er fragte, ob ich eine Reserve-Zahnbürste hätte. Ich kramte herum
und fand eine. Dann fragte er, ob er ein paar Telefonate erledigen könne.
Inzwischen hatte sich der Effekt seiner Schmeichelei abgenutzt; ich erklärte
ihm, falls Ferngespräche dabei seien, möge er sie bitte auf Kreditkarte
tätigen.
Als ich ins Bett ging, saß Suits am Küchentisch,
das schnurlose Telefon zum Wählen mit dem Gipsarm festgeklemmt. Obgleich ich
hundemüde war, dauerte es lange, bis ich wegdöste, und meine wirren Traumfetzen
waren durchdrungen von seiner Stimme, die bis in den Morgen hinein redete und
redete.
Ich hörte immer noch Reden aus der
Küche, als ich gegen acht aufwachte, nur daß es jetzt zwei Stimmen waren, beide
männlich und keine davon Micks. Ich brachte das Duschen und Anziehen hastig
hinter mich und huschte dabei zwischen Schlafzimmer und Bad hin und her, damit
Suits und der unbekannte Fremde, den er da großzügig in mein Haus eingeladen
hatte, nicht mehr wahrnähmen als eine flüchtige Gestalt im weißen Bademantel.
Dann ging ich in die Küche, um nachzusehen, was Sache war.
Eine frische Kanne Kaffee stand in der
Maschine, und Suits und ein hagerer Mann im dunklen Busineß-Anzug saßen sich am
Tisch gegenüber. Als ich eintrat, stand der Mann auf. Er war sehr groß, mit
glatt zurückgekämmtem schwarzem Haar, das ihm im Nacken über den Kragen fiel;
seine Gesichtshaut war so straff gespannt, daß seine Züge etwas von einem
Totenschädel hatten. Ich fragte mich, ob er wohl krank war.
Suits blieb sitzen und stellte mir den
Mann als seinen Anwalt Noah Romanchek vor. Romancheks Augen maßen mich, dann
schüttelte er mir mit einem leisen Nicken die Hand, ohne die schmalen Lippen zu
bewegen. Dieser Anwalt, dachte ich, war ein Mensch, der anderer Leute
Geheimnisse kannte und sie so lange hüten würde, bis er eine Gelegenheit fand,
sie für seine Zwecke zu nutzen.
Als Romanchek meine Hand aus seinem
trockenen, papierenen Griff entließ, ging ich mir eine Tasse Kaffee eingießen.
Suits sagte: »Sherry—«
Ich drehte mich um und funkelte ihn
wütend an.
»Oh —äh«, brach er ab. »Sharon«, setzte
erneu an, »Noah und ich bringen gerade noch ein paar geschäftliche Dinge zu
Ende. Danach werden wir mal eben zum Hafen von Oakland rüberschwirren. Willst
du mitfliegen?«
»Nein. Wenn ich das Honorar verdienen
will, von dem du gesagt hast, ich soll es dir nennen, muß ich zusehen, daß ich
in die Gänge komme.«
Suits’ Gesicht leuchtete auf; trotz
seiner geplatzten Lippe riskierte er so etwas wie ein Grinsen. »Danke. Du wirst
es nicht bereuen.«
Ich war mir da nicht so sicher,
lächelte aber zurück. Irgend etwas in seinen Augen warnte mich, daß er vor
diesem Anwalt nicht über unsere Geschäfte reden wollte, also fragte ich, um das
Thema zu wechseln: »Ist mein Neffe schon weg?«
»Vor einer Viertelstunde etwa gegangen.
Netter Junge. Hat dir deine Mikrowelle repariert. Und mich gebeten, dich daran
zu erinnern, daß du seine Eltern anrufen wolltest.«
»Richtig.« Das würde ich von meinem
Autotelefon aus tun, auf dem Weg nach South Beach, wo ich ein paar Dinge zu
erledigen gedachte. »Kannst du mir die Schlüssel zu deiner Wohnung geben und
einen Schrieb für den Sicherheitsdienst, daß es okay ist, wenn ich sie
betrete?«
Er nahm eine seiner Geschäftskarten
heraus und kritzelte etwas auf die Rückseite. Dann löste er ein paar Schlüssel
aus seinem Schlüsseletui und reichte sie mir. Romanchek sah interessiert zu.
»Bringst du mich noch
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