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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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im Zelda’s?« Ich drehte die
Karte um und inspizierte den Poststempel. Zürich. Großer Gott! Er war wieder in
Europa.
    Im Zelda’s an meinem Geburtstag. Der
war erst am achtundzwanzigsten September. Das hieß wohl, er würde am Tag vorher
in die Bay Area zurückkehren und erwarten, daß ich zum Flughafen von Oakland
kam, wo die Citabria stand, um mit ihm zu seiner Ranch in Mono County zu
fliegen. Zelda’s war ein großes, altmodisches Lokal am Ufer des Lake Tufa in
der Hochwüste. Dort hatten wir das erstemal miteinander getanzt, und ich schloß
daraus, daß Hy diesen Ort aus Sentimentalität für unsere Wiedersehensfeier
auserkoren hatte.
    Aber was machte er in Zürich? Ich
drehte die Karte hin und her und betastete sie, als könnte sie eine taktile
Antwort offenbaren. Was hatte er in Miami, New York und Taipeh gemacht? Diese
Trips kosteten einen Haufen Geld. Wer bezahlte sie? Hy hatte Geld — eine ganze
Menge, die er in diesen fehlenden neun Jahren gemacht hatte — , und zudem hatte
er noch einiges von seiner verstorbenen Frau Julie Spaulding geerbt. Aber seine
Mittel waren dennoch begrenzt.
    Herrgott, dieser Mann konnte einen zur
Verzweiflung treiben! Es gab Zeiten — so wie heute — , da ich ihn schlicht aus
meinem Leben wegwünschte. Was hatte ich davon, daß er groß und schlaksig war
und auf seine hakennasige, struppige Weise gut aussah? Daß er eine rege
Intelligenz, rege Interessen und eine rege Art im Bett hatte? Daß er einen
wunderbar schrägen Humor hatte und fließend Englisch, Französisch, Russisch und
Spanisch sprach — und alle diese Sprachen derzeit offensichtlich noch weiter
trainierte? Auf der anderen Seite war er oft verschlossen, gelegentlich
aufbrausend und zuweilen unterkühlt.
    Es besserte meine Laune auch nicht, mir
in Erinnerung zu rufen, daß ich ebenfalls oft verschlossen, gelegentlich
aufbrausend und zuweilen unterkühlt war...
    Ich knüllte die Postkarte zusammen und
feuerte sie quer durch die Küche. Sie landete in einer Pfütze neben dem
Katzen-Wasserschälchen. Und blieb dort liegen, genauso ramponiert wie meine
Hoffnung, Hy eines Tages wirklich zu kennen.
    Zur Hölle damit, dachte ich und ging
mich anziehen. Danach setzte ich mich hin, las den Stapel von gestern zu Ende
und machte mir Notizen dazu. Ich dachte ein Weilchen nach, ging noch einmal
meine ganzen Notizen durch und tätigte dann ein paar Anrufe. Nachdem ich meinen
Tag praktisch auf die Minute durchgeplant hatte, fuhr ich ins Zentrum, zur
Transamerica-Pyramide, wo Charles Loftus, einer von Suits’ Hauptgeldgebern,
seinen Firmensitz hatte.
     
    Sechs Uhr abends, und Suits war immer
noch nicht aus Long Beach zurück. Ich rief in seinem Büro an und erfuhr, der
JetRanger sei vor rund fünfzig Minuten gestartet, aber die Ankunft werde sich
wegen jahreszeitunangemessen schlechten Wetters vor der Zentralküste verzögern.
Vielleicht gar nicht so schlecht, dachte ich. Das gab mir Zeit, mich auf die
kleine Unterredung vorzubereiten, die zwischen uns anstand. Ich hatte gerade
die Bänder mit den verschiedenen Gesprächen des Tages noch einmal abgehört und
war zu einem beunruhigenden Schluß gekommen.
    Draußen vor dem Erkerfenster meines
Büros hatte sich der Nebel zu einer dicken Suppe verdichtet, fast schon
Nieselregen. Ich schwenkte auf meinem Drehstuhl herum und starrte auf die
Spitzdächer der Gebäude jenseits der kleinen dreieckigen Grünanlage vor dem
Haus. Zwei dieser Häuser hatte All Souls inzwischen gemietet, was einst als
eine Horde rebellischer Idealisten begonnen hatte, die auszog, ihren
Mitmenschen zu helfen, hatte sich zu einer der größten Anwaltskanzleien von
Nordkalifornien ausgewachsen. Zum Glück war das Konzept — erstklassige
Rechtsvertretung auch für Leute mit wenig Geld — mit der Installation der
800er-Nummer-Hotline nicht gestorben. Zu einem gewissen Grad waren wir immer
noch...
    Nicht wir. Sie. Ich war hier nur
Mieterin.
    Bei diesem Gedanken fühlte ich mich ein
bißchen einsam und isoliert, aber nicht lange. Denn ihm folgten andere auf den
Fersen, die angenehmerer Natur waren: ich bezog nicht länger ein erbärmlich
kleines Gehalt für die vielen Arbeitsstunden, die meine Ermittlungsarbeit
forderte. Ich war nicht länger den oft spleenigen Ansinnen der verschiedenen
Partner ausgesetzt. Und sollte je ein komplizierter Fall des Weges kommen,
würden sie mich hinzuziehen. Ich genoß immer noch die Unterstützung und
Freundschaft der Menschen, an denen mir am meisten lag.
    Ich wandte mich

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