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Feinde kann man sich nicht aussuchen

Feinde kann man sich nicht aussuchen

Titel: Feinde kann man sich nicht aussuchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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trat ein und ließ meinen Augen Zeit, sich an das
trübe Licht zu gewöhnen. Der Raum war leer, die Öllampe ausgedreht. Decks
Schlafsack lag nicht mehr auf der zerschlissenen Matratze.
    Zufall, daß er zum selben Zeitpunkt
verschwand wie seine Schwester? Wohl kaum.
    Auf dem Weg durch das Flußbett zurück
zum Landrover musterte ich die Umgebung genau. Was konnte es sein, was meine
unentwickelten Fotos für Deck oder Brenda gefährlich gemacht hatte? Aber das
Terrain sah einfach nur aus wie jede von Regen und Flußwasser ausgewaschene Schlucht
— ungewöhnlich breit zwar, aber ansonsten öde und uninteressant.
    Und dennoch — ich hatte den Verdacht,
daß es keineswegs so uninteressant war, wie es schien.
     
    Die Asservatenkammer des Sheriff-Büros
war eine Art begehbarer Wandschrank, der von Westerkamps Büro abging. Der
Deputy verschwand darin, rumpelte und fluchte ein Weilchen herum und tauchte
schließlich rotgesichtig und eingestaubt mit einer großen Papp-Karteibox wieder
auf. Er kippte den Inhalt unzeremoniös auf seinen Schreibtisch.
    Eine kleine blaue Reisetasche mit
United Airlines-Logo. Darin: drei Garnituren Unterwäsche, zwei T-Shirts, eine
Jeans, zwei Paar Socken, Toilettengegenstände; zwei Taschenbuch-Western; ein
halber Sechserpack Coors-Bier, zwei Päckchen Winston, ein unangebrochenes Streichholzbriefchen
aus einem Restaurant in Ely, Nevada; eine Handvoll Getränkemarken aus einem
Casino im selben Ort, eine Straßenkarte von Nevada, ein Satz Dietriche. Ich
hielt einen mit spiralförmig gewundenem Schließende hoch und sah den Deputy
fragend an. Er grinste und zuckte die Achseln. »Keine Brieftasche, keine
sonstigen Papiere?« fragte ich.
    »Nein.«
    »Schlüssel zu dem gestohlenen Wagen?«
    »Keine. Das Fahrzeug wurde
sichergestellt und abgeschleppt.«
    »Sonstige Schlüssel?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Waren diese Sachen auch alle gründlich
abgewischt?«
    »Ein paar bruchstückhafte
Fingerabdrücke waren drauf. Aber nicht gut genug, um sie an die Bundeskartei zu
geben.«
    »Wie hat er sein Zimmer bezahlt?«
    »Bar für die ersten beiden Nächte. Die
beiden folgenden hat ihm das Aces dann gern erst mal angeschrieben.«
    »Kein florierendes Haus demnach.«
    »Inzwischen hat es sich gemacht, dank
Ihrem Mr. Gordon.«
    Ich nahm mir die Taschenbücher vor und
blätterte sie durch; nichts zwischen den Seiten. Ich legte sie wieder hin und
untersuchte das Innere der Reisetasche auf versteckte Seitenfächer. Keine da,
aber ich fühlte etwas Schmales unter dem Bodenfutter. Zwängte meine Finger zu
der Stelle durch und zog den Gegenstand heraus. Es war ein Kugelschreiber; ich
musterte die Aufschrift: Keystone Steel Company, Monora, Pennsylvania.
    Ich starrte auf die Wörter. Silber auf
Schwarz. Sie schienen zu flimmern.
    »Und niemand hat ihn verschwinden
sehen?« fragte ich Westerkamp.
    »Kein Mensch.«
    »Und der flüchtige Verbrecher, den
Brenda Walker im Fernsehen gesehen hat?«
    »Wurde später in South Carolina
gefaßt.«
    »Wer hätte das gedacht.« Ich starrte
immer noch auf den Kugelschreiber, drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Ich seh nämlich Sachen ... Sie sagen, eine rotangezogene
Diebin kommt und will mir meine Geheimnisse stehlen... ich muß aufpassen... ich
seh die Kojoten. Sie fressen den Augustmann. Fressen sein Fleisch und seine
Knochen...«
    Ich sah Westerkamp an. »Das erste
Wort, das mir einfällt, ist ›habgierig ‹... Das dritte ist ›mies‹... Die
Wüste dort draußen ist ein ungeweihter Friedhof, schon seit sie die erste
Silberader gefunden haben... manche davon noch ziemlich frisch...«
    »Miss McCone, alles okay?«
    Nicht ganz. Es gibt da ein Problem, ein
Riesenproblem. Ich könnte der Person schaden, der ich helfen wollte.
    »Miss McCone?«
    »Alles klar.«
    Aber ich durfte meinen Verdacht nicht
für mich behalten; es war noch nie meine Art gewesen, in solchen Dingen das
Gesetz zu umgehen.
    »Aber was —«
    »Deputy, ich glaube, ich weiß, wo Sie
Ihren verschwundenen Mann finden können.«
    Er zog eine Augenbraue hoch.
    »Irgendwo in diesem Flußbett, wo Leon
Deck sein Flaschenhaus gebaut hat. In einem dieser ungeweihten Gräber, von
denen Sie mir erzählt haben.«

13
    »Hoffentlich stimmt Ihre Theorie«,
sagte Chuck Westerkamp, während er beobachtete, wie zwei seiner Beamten das
ausgetrocknete Flußbett vor uns durchkämmten. Er dachte offensichtlich an sein
begrenztes Budget und die möglichen Überstunden. Ich hingegen war nervös
gewesen, weil er ohne

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