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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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in den Treckerkühlerrost knallen, weil er streng genommen ja kein Täter, sondern ein Opfer ist und weil ich sonst auch nur ein Kämpfer wäre und wir eigentlich den kompletten Kampf abschaffen mussten, damit eine Welt entsteht, in der mehr als 8 Cent für die Milch auf dem Hof ankommen. Aber dann entwaffne ich mich selber, und der Russe kann alles übernehmen und der Chinese Katzenfleisch in Europa verkaufen. Wenn es keine Täter mehr gibt, kann es auch keine Opfer mehr geben, und wenn es keine Opfer gibt, löst sich alles auf, und wir schwimmen durch ein numinoses Nichts, in dem wir uns alle gegenseitig Messer zwischen die Kniescheiben schieben und so lange bohren, bis wir irgendwas zugeben, egal, was, Hauptsache, wir reden.« »Hartmut, jetzt ist es aber gut!«
    Er geht zur gegenüberliegenden Scheune, stützt sich gegen die Wand und knickt ein Stück in den Beinen ein. Er japst. Er würgt, wie Yannick, wenn der Haarballen kommt. Er sagt: »Ich kann nicht mehr. Auch ich kann irgendwann nicht mehr.« Er atmet tief, um sich nicht übergeben zu müssen. Er trägt die ganze Welt auf seinen Schultern. Er pustet, fängt sich, geht wieder zu Roland hinüber, der wie verloren vor dem Trecker steht, und sagt, den Finger auf ihn gerichtet: »Ich könnte dich anzeigen. Ich könnte die ganze Mietergemeinschaft dazu aufwiegeln, dich, die Russen, Ozgür und den Hausbesitzer, der den ganzen Scheiß zulässt, zu verklagen. Alle 250 Mietparteien gleichzeitig. 250 Zeugen. Das ist Beweis genug, wenn alle mitmachen.«
    Jetzt entsteht in Rolands Magen ein Haarballen.
    Hartmut schnauft, bildet eine Faust, beißt die Zähne zusammen, öffnet die Faust wieder und sagt: »Aber ich werde es nicht tun. Ich bin müde. Aber eins sag ich dir: Wenn du nach Berlin zurückkommst, wirst du nicht mehr als Doppelagent arbeiten können. Das verspreche ich. Du bist enttarnt, Junge. Du musst dir eine andere Einnahmequelle suchen. Und sag den Russen, sie werden unser Geld niemals kriegen. Niemals!«
    Roland nickt nur dazu, wie ein Mann, der froh ist, mit dem Leben davongekommen zu sein.
    Sein Neffe kommt aus dem Haus. »Alles in Ordnung, Onkel Roland?«
    »Ja, alles okay.«
    Ich nehme Yannick auf den Arm.
    »Den nehmen wir wieder mit«, sage ich, »denn er gehört uns. Ich bin sicher, der kleine Urlaub auf dem Bauernhof hat ihm gut gefallen. Oder, Süßer?« Ich kraule Yannick an den Katzenohrrandhärchen, weil ich weiß, dass das automatisch zu Schnurren und Wohlbefinden führt. »Siehst du?«, sage ich, »er fand's prima. Und du wirst ein großer Tierfilmer. Glaub immer fest daran. Dann wirst du dein Geld sinnvoll verdienen. Und ehrlich.«
    Der Junge strahlt.
    Wir entfernen uns vom Gelände.
    Der Weg vom Zaun bis vorne zur Landstraße, wo unser Wagen steht, ist einerseits leicht, weil wir unseren Sohn wiederhaben, und andererseits bleiern, weil sein Kidnapper unser Nachbar war. Wir wollen uns trauen, Menschen zu trauen, aber wir lernen jeden Tag: Das lohnt sich nicht mehr. Vorne an der Straße hängt Christus an seinem Kreuz, der Mann, der seine Feinde geliebt hat. Auf seiner Schulter sitzt eine Taube und lässt langsam ihre weiße Scheiße über seine Flanke laufen.
     

Smalltalk und Sandwich
    »Okay«, sagt mein Fahrgast und reibt sich auf dem Rücksitz die Hände wie ein Modelleisenbahnbauer, der 450 neue Teile zur freien Auswahl vor sich liegen hat. Ich lächele und warte ab, wie er sein Taxi gerne konfiguriert haben möchte. Er sagt: »Gut, ich wähle Smalltalk, ein Sandwich und etwas leichte Gitarrenmusik. Was haben Sie da anzubieten?«
    »Was verstehen Sie unter leicht?«, frage ich.
    »So Richtung Dire Straits, nur nicht so abgenudelt. Der Sänger von denen, hat der nicht Soloplatten gemacht?«
    Ich blättere mit flinken Fingern im prallgefüllten iPod herum. In jedem unserer Taxen ist einer angedockt. Ich finde »Sailing To Philadelphia« von Mark Knopfler und starte das Album. Dann öffne ich die kleine Kühlbox, die auf dem Beifahreritz angeschnallt ist, und wühle in den Sandwiches. »Thunfisch? Käse? Salami?«
    »Salami bitte.«
    Ich reiche dem Mann das Brot und zwei Servietten nach hinten und lasse den Wagen an. Ich fahre eins von fünf Taxen, mit denen wir die Firma gestartet haben. Wir haben auf unserem neuen Gelände Silvester gefeiert und wohnen jetzt dort. Hartmut hat der Presse eine anonyme Mitteilung zu den Schutzgeldgeschehnissen im Mietshaus zukommen lassen. Sollen sich doch die Enthüllungsjournalisten um die Sache kümmern.

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