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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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ist an Einschlafen nicht mehr zu denken. Nach wenigen Minuten geht das Kichern in Schmatzen und schwereres Atmen über. Ich höre Kussgeräusche, wie man sie auf nackter Haut erzeugt, wenn man sich am Körper des Partners Zentimeter für Zentimeter entlangküsst, um irgendwann im Palast anzugelangen und mündlich um Einlass zu bitten. Heute klopft Hartmut wohl mit überzeugender Rhetorik an die Pforte. Ich stehe auf, fische zwei Socken vom Boden, streife sie über und gehe weichbumpernden Schrittes durch den Flur, an Küche und Kinderzimmer vorbei zur Wohnungstür, an die direkt das Bürogebäude anschließt. Aus einem Raum flimmert weißliches Licht. Veith sitzt vor den fünf Überwachungsmonitoren der Kommandozentrale wie ein Produzent vor seinem Mischpult.
    »Keine besonderen Vorkommnisse«, sagt er, als sei es normal, dass wir mitten in der Nacht wach sind. Ich nicke und fühle mich mit einem Mal stolz. Stolz, dass ich Mitbesitzer einer Firma bin, die sich einen Sicherheitschef leisten kann, der nie schläft. Stolz, dass das Großraumbüro, das ich jetzt betrete, tatsächlich uns gehört. Der große Schreibtisch vorne links ist Caterinas Platz, ein über Eck gebauter Doppeltisch mit einem Monitor so groß wie ein Plasmafernseher. Hier entwirft sie die Kampagnen für MyTaxi und feilt an der Internetseite. In der Mitte ein paar Inseln für die Telefonisten. Kopfhörer und Headsets, Fotos von den Lieben und Radiergummis, die wie Erdnüsse geformt sind. Hinten rechts Hartmuts großer Schreibtisch, etwas durcheinander. Seine Ablage besteht aus sieben übereinandergestapelten Ablagefächern aus Kunststoff, an denen Etage für Etage eine kleine Leiter hinaufführt, als gäbe es hier playmobilfigurengroße Mitarbeiter, die mit vor Anstrengung eingeklemmter Zunge Papiere einsortieren. Auf dem Teppich stehen Wasserflaschen und Thermoskannen neben den Beinen der Schreibtische. Ginge ich raus in die Kälte und über den Hof in die Werkstatt, würde ich dort zwei Hebebühnen sehen und mehrere Werkbänke. Tonnen für Öliges, Papier und Restmüll. Kisten für Schrottteile. Eine STL 7000-Prüfstraße, eine Geodyna 35-3 zum Auswuchten und eine Trichtertonne mit Sieb, die man unter den Motorblock schiebt, um das Öl abtropfen zu lassen. Ich würde die Ecke mit den Hunderten von biologisch abbaubaren und FCKW-freien Lackier- und Sprühfarben sehen, die uns dazu dienen werden, kommende Autos umzugestalten. Ich würde daran denken, dass wir gerade einmal März haben und schon so weit gekommen sind.
    Firmenbesitzer.
    Erwachsene Menschen, denen das alles hier gehört.
    Erwachsene Menschen, die Angestellte haben.
    Erwachsene Menschen, die bald Eltern werden.
    Ich lasse mich in dieses Gefühl fallen und bin erstaunt, wie gut es sich anfühlt, als der Bewegungsmelder draußen das Licht anwirft und etwas so laut ans Fenster scheppert, als sei aus dem Nichts der Kopf eines dreizehn Meter großen Monsters am Glas erschienen und fülle es vollständig aus. Ich zucke zusammen, sehe, wie draußen ein paar Lichtkegel vom Wachturm die Straße vor dem Gelände abtasten, renne hinaus und bin nur unwesentlich schneller als Veith, der hechelnd neben mir steht und sagt: »Scheiße, den hab ich nicht gesehen. Ich hab ihn auf keinem Bildschirm gesehen.«
    Die Wachleute rennen an den Zäunen entlang wie nervöse Katzen. Der Lichtstrahl vom Turm findet nichts außer Hauseingänge der Nachbarn, in denen bereits die Gratiszeitungen von morgen liegen.
    Unter dem Fenster liegt ein tennisballgroßer Stein auf dem Boden. Das Fenster selbst hat einen Kratzer, aber keine Risse. Hat sich das schusssichere Plexiglas also doch ausgezahlt. Veith leuchtet mir. Ich hebe den Stein auf und sehe erneut zur Straße.
    Veith sagt: »Er muss direkt vom Bürgersteig außerhalb des Geländes geworfen haben. Vielleicht sogar von der anderen Straßenseite. Ja, das war von der anderen Straßenseite, und dann in so hohem Bogen, dass der Stein bis zum Gebäude fliegen konnte.«
    Am Stein ist ein Zettel festgebunden und zusätzlich mit Gaffatape fixiert. Ich löse Kordel und Klebeband.
    »Was ist denn hier los?«, gähnt Caterina und steht mit winzigen Augen in der Tür. Sie ist so süß, wenn sie vor ihrer Zeit aufwacht. Diese Mischung aus Schutzbedürftigkeit, halbem Bewusstsein und kindlichem Trotz ist zum Anbeißen.
    Ich falte den Zettel auf und lese vor: »Die Schulden sind immer noch offen.« Mehr nicht.
    »Die Russen«, sagt Veith.
    Caterina schluchzt auf, aber eher wie

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