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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Solarplexus wie Zinedine Zidane damals im WM-Finale dem Italiener, der seine Schwester beschimpft hatte. Roland sackt zusammen, Hartmut zieht ihn sofort wieder auf die Beine. »Erzähl uns nicht so eine Scheiße!«, schreit er ihn an.
    Ich frage mich derweil, wie das weitergehen soll. Binden wir ihn gleich an den Pflug und pulen mit der Spitze einer Mistgabel in seiner Haut herum, bis er redet? Hat er es etwa nicht verdient? Sind wir eigentlich alle verrückt geworden?
    »Ich gehe jetzt da rein und erzähle deinen kleinen Neffen, dass ihr lieber Onkel Roland anderen Menschen einfach ihr Haustier wegnimmt. Es ihnen wegnimmt und entführt, so dass sie tagelang suchen und weinen und suchen. Deine demente Mama auf dem Sofa mag nicht mehr viel verstehen, aber sie wird in den letzten Wochen oder Monaten ihres Lebens noch mit der Information leben müssen, dass ihr Sohn in Berlin ein Verbrecher geworden ist, der unschuldige Katzen und wahrscheinlich auch Kinder entführt und das Leben anderer kaputtmacht. Das Weihnachten anderer kaputtmacht!«
    »Nein«, sagt Roland und kann seine Feuchtigkeit nicht so gut hinter den Augen zurückhalten wie ich, »bitte nicht. Weihnachten ist das Einzige, was sie am Leben erhält.«
    Hartmut schüttelt ihn, feine Wölkchen aus Spucke landen in Rolands Gesicht, als er erneut schreit: »Was ist hier los?«
    »Der Hof«, sagt Roland, »ist hochverschuldet. Der Mann meiner Schwester ist vor zwei Jahren verstorben. Der Ertrag geht zurück, Abnehmer springen ab, die Hilfsarbeiter und Erntehelfer bringen überhaupt nichts, vor allem nicht die deutschen. Meine Schwester muss alles organisieren und dabei auch noch Mutter pflegen. Alles wird teurer, und immer weniger kommt rein. Von einem Liter Milch kommen 8 Cent hier an, vom Weizen eines Brötchens 0,1 Cent. Sie hätte den Hof längst verkauft, aber solange unsere Mutter lebt, werden wir das nicht tun. Sie lebt hier seit 65 Jahren! Wenn wir sie umsiedeln - nicht mal in ein Heim, sondern irgendwo in eine Wohnung mit meiner Schwester -, wird sie vor Kummer sterben. Ihr seht doch, wie sie da auf der Couch sitzt, völlig mit sich im Reinen, als sei alles in Ordnung. Das Einzige, was den Hof am Leben hält, ist das Geld, das ich schicke.« Er versucht, Hartmuts Blick auszuweichen und irgendwo in die Ecke zu alten Kanistern und Kupplungen zu schauen. Hartmut rüttelt noch einmal an seinem Kragen. Roland spricht weiter: »Ich kriege einen Anteil von den Russen. So wie die Türken einen Anteil kriegen. Ich bin der gute Cop in dem Spiel. Erkläre den Nachbarn in aller Ruhe, wozu die Russen fähig sind und dass ich doch auch zahle und es keine Schande sei, es zu tun. Das ist unschätzbar wichtig für sie. >Der anständige, gutmütige, deutsche Roland, wenn der sogar zahlt, dann zahlen wir ebenfalls<, denken sich die Leute. Merkel nimmt ja auch Geld vom Chinesen.«
    »Wie bist du reingekommen?«, sage ich.
    »Du hast den Schlüssel draußen stecken lassen. Vor ein paar Wochen. Ich hab ihn schnell nachmachen lassen und wieder in die Tür zurückgesteckt.«
    Hartmut lässt Roland los und geht auf dem Hof vor dem Treckerverschlag auf und ab. Er hebt Blick und Hände zum Himmel. Er klagt: »Das darf doch alles nicht wahr sein! Jetzt kann man diesen Mann noch nicht mal hassen, weil er den Hof seiner armen Mutter rettet. Er muss ihn retten, weil der Kapitalismus es unmöglich macht, dass ein münsterländischer Traditionsbetrieb überlebt. Die Alternative wäre Planwirtschaft und Kolchose, und da landen wir am Ende alle in Sibirien, weil Stalin es nicht gerne sieht, dass wir dekadente Videospiele spielen. Wir sind vollkommen am Arsch, die ganze Menschheit, wir haben alles ausprobiert, und egal, was wir tun, wir landen in Katzenentführungen und Krieg und Betrug und Misstrauen und Elend!«
    Yannick steht auf dem Hof, schaut zu seinem tobenden Papa auf und wackelt mit den Ohrchen.
    »Am liebsten würde ich implodieren«, sagt Hartmut, »nur noch die vollständige Auflösung ist ein Ausweg. Und dann? Dann malst du weiße Leinwände oder spielst statt Musik bloß Stille, und schon ist die Guggenheim-Stiftung der Deutschen Bank da, erklärt, warum dein Nichts die beste neue Kunst des Landes ist, und finanziert dich mit Geldern aus Ölpipelines, die sie quer durch Venezuela genagelt haben!«
    »Hartmut ...«, ich gehe auf ihn zu, um ihn zu beruhigen, aber sein Stress muss raus. Für ihn ist jetzt alles das große Ganze.
    »Ich darf diesen Mann da nicht mit dem Schädel

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