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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Haus zu, öffnen die Tür, riechen den warmen Duft von Zimt und Rosinen, hören Kinderchöre »O du fröhliche!« singen und finden zügig das Wohnzimmer. In der rechten Ecke steht ein prächtiger, prallgeschmückter Weihnachtsbaum vor einer Krippe mit großen handgeschnitzten Figuren.
    Maria, Josef, das Kind in der Krippe, die Heiligen Drei Könige, Esel und Ochs, dazwischen Stroh und Kerzen. Auf dem hölzernen Wohnzimmertisch dreht sich eine dieser Flügelpyramiden, deren Blätter von der aufsteigenden Wärme der Kerzen angetrieben werden. Dahinter sitzt eine kleine, tatterige Frau auf einem großen Sofa wie die Prinzessin auf der Erbse, umringt von zwei kleinen Enkeln. Die alte Frau macht große Augen, wie ein Kind, das nicht genau weiß, was gerade passiert, aber für den Moment absolut selig ist. Die Mutter der Kinder sortiert gerade die Geschenke unter dem Baum, Roland zupft den Stern an seiner Spitze zurecht. Yannick sitzt in der Krippenlandschaft und stupst mit der Pfote die Josefsfigur an, ohne sie ernsthaft umwerfen zu wollen.
    »Yannick!«, rufe ich, und er blickt zu mir hoch. »Roland!«, sagt Hartmut, und unser Nachbar erstarrt am Baum.
    Seine Schwester nimmt die Josefsfigur wie einen Knüppel in die Hand und dreht sie herum, die Füße als Schlagspitze nach oben. Die Großmutter auf dem Sofa und ihre Enkel sind bloß neugierig.
    »Yannick!«, sage ich erneut und beuge mich zu ihm. Er klettert langsam aus der Krippenlandschaft und schnuppert an meiner Hand. Dann gibt er Köpfchen. Er erkennt uns. Er regt sich nicht auf. Er benimmt sich, als wolle er sagen: >Danke, das war ein netter Ausflug. Habt ihr euch schön ausgedacht. Meinethalben können wir jetzt nach Hause gehen.<
    »Wer sind diese Männer?«, fragt Rolands Schwester mit dem Josefsknüppel in der Hand.
    »Das sind ... meine Nachbarn aus Berlin.« Roland dreht sich zu uns um und breitet die Arme aus. Er lacht. »Schön, dass es doch noch geklappt hat«, sagt er so laut und überbetont wie ein Laiendarsteller bei Richter Alexander Hold. Zu seiner Schwester sagt er: »Ich hatte sie eingeladen, mal einen echten Hof zu besichtigen. Eigentlich für morgen, aber Schwamm drüber, wir sind Berliner, wir sind doch flexibel, was?« Er knufft mir die Schulter. Auf seiner Stirn haben sich Schweißperlen gebildet. In den winzigen Tröpfchen glitzert das Licht der Kerzen. Der Junge von draußen steht in der Tür und sagt: »Die haben meinen Film bei YouTube gesehen und fanden ihn toll!«
    »Deinen Film bei YouTube?«, fragt Roland.
    »Ja, ich hab vorgestern den Kater gefilmt, wie er draußen tobt. Ich bin jetzt berühmt. Ich werde bestimmt ein großer Tierfilmer.«
    »Bestimmt«, sage ich und tätschele ihm den Kopf.
    Hartmut, der bislang gar nichts gesagt, sondern nur Roland mit seinem Blick fixiert und dabei seine Daumen massiert hat, sagt: »Dürften wir deinen Onkel mal kurz entführen? Wir haben eine Überraschung für ihn.«
    »Roland?«, fragt seine Schwester.
    »Ist schon in Ordnung«, sagt Roland und geht an uns vorbei durch den Flur aus dem Haus.
    Wir folgen ihm auf den Hof zu einem großen, offenen, vier Meter hohen Unterstand, in dem Trecker und Ackergeräte geparkt sind. In dem Moment, wo wir außer Sicht der Wohnhausfenster sind, packt Hartmut Roland am Kragen und schiebt ihn mit voller Wucht gegen den Kühler eines alten roten Lanz-Treckers. Es kracht, als Rolands Wirbelsäule gegen den Rost brettert. Unserem Nachbar entweicht Luft. Hartmut drückt seinen Kragen zu und presst jedes seiner Worte durch geschlossene Zahnreihen: »Was soll das? Du entführst unseren Kater auf den Hof deiner Schwester? Du?«
    »Lass mich das erklären ...«
    »Hedgefonds kann man erklären«, faucht Hartmut, »humanitäre Kriege oder drei Gegentore in den letzten zwei Minuten der Champions League. Man kann sogar erklären, warum man einer pleite gegangenen Bank noch 300 Millionen überweist. Man kann erklären, wieso man nach 15 Jahren Ehe merkt, dass man eigentlich lieber eine Frau wäre, aber das, das kann man nicht erklären, du Arschloch!«
    Roland zittert vor dem Treckerrost. Er traut uns zu, dass wir ihn hier und jetzt ernsthaft verletzen könnten. Das schmeichelt einem nicht unbedingt, wird aber in dieser Welt immer nützlicher.
    »Warum kriegen wir einen Brief von den Russen und finden unseren Kater auf diesem Hof?«
    »Weil ihr nicht zahlt, und ich dachte, lieber entführe ich ihn als sie, damit ihm nichts passiert.«
    Hartmut rammt Roland die Stirn in den

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