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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Renault-Kastenwagen erreichen wir die Gegend des Hofes, auf dem Yannick vor der Kamera herumtollt, als sei nichts gewesen. Während der Fahrt haben wir uns die Köpfe heiß diskutiert, wie er hierhergekommen sein soll, ins Münsterland, Hunderte Kilometer weit entfernt von Berlin. Hat ihn ein Tourist aufgegriffen und einfach die ganze Strecke mit nach Hause genommen? Haben die Russen mit ihrem Erpresserbrief nur geblufft? Oder verschleppen sie einen kleinen Kater durchs halbe Land, damit die Besitzer ihn auch wirklich nicht mehr wiederfinden? Wir sind ratlos, doch voller Energie. Wir parken den Wagen vor einem Restaurant an der Landstraße. Der Heggenkamp zweigt schräg gegenüber vom Gasthaus ab und führt weit in die Felder. Am Beginn des Weges steht ein Bildstock mit einem großen Kruzifix, ein gekiester Platz mit einer Sitzbank davor. Der Hof ist in der Ferne zu erkennen, den letzten Kilometer müssen wir uns zu Fuß anschleichen.
    »Ich bin froh, dass die Russen ihn doch nicht haben«, sagt Hartmut, und ich rege mich auf: »Jetzt sei doch nicht so watteweich positiv. Wir wissen doch immer noch nicht, was uns dort erwartet.«
    »Der Russe verschleppt einen Kater nicht über so viele Kilometer. Wieso sollte er das tun? Berlin bietet ausreichend Versteckmöglichkeiten. Es waren sicher Touristen. Auf Bauernhöfen ist ein kräftiger Kater immer gut zu gebrauchen.«

     
    Ich wünsche mir ja auch, dass er recht hat.
    Nach fünf Minuten erreichen wir das Gelände, das wir aus dem YouTube-Film kennen. Der knorrige Zaun, die Bäume auf der Wiese dahinter, die Rückseite der Scheune.
    »Wir müssen robben«, sagt Hartmut. Er steigt über den Zaun und legt sich ins von der Winterkälte durchfeuchtete Gras. »Ich robbe jetzt«, sagt er und robbt.
    Ich seufze und robbe mit. Unbehelligt erreichen wir die Rückwand der Scheune. In ihrem Holz kann man die Spuren erkennen, die Yannicks Krallen beim Erklimmen zurückgelassen haben. Wir gehen in die Hocke und schleichen im Entengang zum Rand des Gebäudes, um um die Ecke zum Wohnhaus zu spähen. Wir sind hochkonzentriert. Unsere Körper sind angespannt, durch unsere Adern pumpt Adrenalin. Wir sind auf den Kampf vorbereitet, wir werden unserer biologischen Bestimmung als Männer gerecht, wir sind es wert, gefürchtet zu werden.
    »Warum robbt ihr?«
    Die Stimme des Jungen fährt in unsere hochkonzentrierten, soldatischen Leiber und schüttelt sie dermaßen durch, dass wir unsere Körperspannung sofort verlieren. Wir zappeln an der Rückwand der Scheune herum wie Marionetten, deren Spieler einen über den Durst getrunken hat. Wir drehen uns um.
    »Mein Gott, hast du uns erschreckt!«
    Der Junge ist vielleicht zwölf, trägt eine Flickenhose aus Rauleder und einen dunkelblauen Norwegerpullover und hat eine Frisur wie britische Rockmusiker. »Ihr robbt auf unserem Hof. Ist das ein Spiel?«
    »Bist du farmerboy10?«, fragt Hartmut.
    Der Junge macht einen Schritt zurück. Sein Schuh zerdrückt eine Distel. »Woher weißt du das?«
    »Der Film mit dem schwarzen Kater ist toll«, sagt Hartmut.
    »Habt ihr mich per Mail gefragt, wo der Hof ist?« »Ja.«
    Der Junge sagt nicht, ob er mittlerweile geantwortet hat. Hat er geantwortet, dürfte es ihn nicht wundern, dass wir hier sind, allerdings schon, dass wir robben. Hat er nicht geantwortet, dürfte es ihn nicht wundern, dass wir robben, da wir in dem Fall sicher Einbrecher sind, die ihre Zielobjekte über das Internet recherchieren. Man weiß es nicht. Man steckt nicht drin. Diese jungen Menschen reden ja nicht mehr viel.
    »Ist der Kater da?«, frage ich.
    »Drinnen, in der Stube.«
    Er sagt »Stube«, was mich sehr rührt. Er trägt schlichte, warme Klamotten ohne Aufdruck, und er sagt »Stube«. Mir kommen schon fast wieder die Tränen. Was für eine unschuldige Gegend.
    »Wir feiern drinnen Weihnachten. Oma, Mutter, meine Geschwisterchen und Onkel Roland.«
    »Aha«, sage ich, rappele mich auf und ziehe auch Hartmut aus dem kalten Gras. Auf halber Höhe, Hartmut an meiner Hand, halte ich inne: »Hast du eben >Onkel Roland< gesagt?«
    »Ja. Er hat den Kater mitgebracht. Er kommt nur zweimal im Jahr hierher. Er wohnt weit weg. In Berlin.«
    Ich lasse Hartmut wieder los, der knallt gegen die Scheunenmauer, steht aber schnell auf eigenen Beinen. Wir sehen uns an. Roland? Unser Nachbar?
    »Wo ist er?«, frage ich, und der Junge zeigt rüber zum Haus, quer über den Hof, auf dem ein Anhänger steht und sich Reifen stapeln. Wir gehen auf das

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