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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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gehen«, sagt er.
    Der Chef wedelt mit der Hand, sagt »Macht nur, macht nur!«, und wir wissen alle, dass wir hier keine Zukunft haben. Wir sind nicht kompatibel.
    Wir verlassen den Mann und gehen über den Flur zurück Richtung Treppenhaus.
    »Das haben wir wohl vermasselt?«, sage ich.
    »Macht nix«, sagt Hartmut, »irgendwo ist auch mal Schluss mit dem Anpassen.«
    Dann sehe ich wieder den schwachen Lichtschein. Er dringt aus einer Tür links in der Wand.
    »Warte mal«, sage ich, »was ist denn das?«
    Ich schiebe die Tür auf, und wir trauen unseren Augen nicht. In einem freundlichen, nicht zu ordentlichen, aber auch nicht von Polsterumschlagranken zugewachsenen Büro steht eine rothaarige Frau, hört schlicht und einfach R.E.M. und sieht dabei - aus dem Fenster! In ihrem Büro gibt es einen Ausblick nach draußen, hinaus in die Welt, über die Hauptstadt und bis zum Horizont.
    »Licht!«, sage ich wie in Trance und wanke hinein. Hartmut schließt hinter mir die Tür. »Sie haben Licht!«
    Die Frau dreht sich um. Sie sieht gut aus, aber vor allem: offen. Zugänglich, wie ein normaler Mensch. »Ich habe den Durchbruch selber geschlagen«, sagt sie. »Vor einem Jahr. Die anderen wollten das nicht. Ich sei verrückt, haben sie gesagt, das führe doch zu nichts. Aber ich denke, man muss sehen, was draußen vor sich geht. Wer das nicht mehr mitkriegt, wird irgendwann verrückt.«
    »Und?«, fragt Hartmut, »hat es dich gerettet?«
    »Es geht«, sagt die Frau. »Ich erzähle den anderen manchmal, was ich hier sehe. Sie glauben mir kein Wort. Was draußen vorgeht, darf uns nicht belasten, sagen sie. Wir verlieren sonst unsere Identität.«
    »Drucken sie denn, was du schreibst?«
    »Ja. Ich hab da so meine Tricks. Ich muss im Grunde nur behaupten, der Gitarrist sei von Thin Lizzy beeinflusst und produziert hätte einer, der auch für Hydra Head arbeitet. Oder Kemado. Oder irgendwo in Bristol. Dann schlucken sie es.«
    »Es ist ein ganz großes Elend«, sagt Hartmut.
    Ich stimme ihm zu.
    »Es gibt keine Argumente, es gibt nur Rhetorik«, sagt die Frau, die als Einzige hier nach draußen sehen kann.
    Dann verlassen wir das klobige, dunkle, beengende Gebäude. Ich sehe noch, wie Paul uns aus seinem Foyer hinterherblickt, doch ehe er aufspringen kann, sind wir bereits draußen.
     
     

Aggressionssteuer
    Wir fahren ein paar Stationen U-Bahn und steigen im Regierungsviertel aus. Wir haben noch den ganzen Tag vor uns, und wir müssen ihn nutzen. Wir brauchen Jobs. Ich frage mich zwar, ob die ausgerechnet im Regierungsviertel auf der Straße liegen, aber Hartmut meint, es könne nicht schaden, hier zu flanieren. So gehen wir gerade von hinten durch die Dorotheenstraße auf den Reichstag zu. Links von uns ist der Eingang zum Bundestag, eine große Glastür, hinter der Sicherheitskräfte stehen und Taschen kontrolliert werden, wie an einem kleinen Flughafen. Auf den Seitenstreifen vor dem Gebäude ist absolutes Halteverbot. An den graffitifreien Wänden hängen Überwachungskameras. Eine Politikerin kommt aus der Tür, ich glaube, sie schon mal irgendwo gesehen zu haben, aber der Name fällt mir nicht ein. Ein kleiner Mann läuft hinter ihr her und trägt in jeder Hand zwei breite Aktenkoffer aus Rindsleder. Sie ziehen seine Arme gen Asphalt wie Zweige, sie müssen randvoll mit Papieren und Ordnern sein. »Das ist ein neuer Job«, sagt ein Mann, der neben uns auf dem Fahrrad aufgetaucht ist. Er ist groß, hat leichte Akne und einen Blick voller Erfahrung. »Wurde vor ein paar Monaten eingeführt. Bringt gutes Gehalt und den Beamtenstatus. Der Mann«, er zeigt auf den Kofferschlepper, der hinter der Politikerin herstolpert, »ist Bedenkenträger.« Der Radfahrer sieht ihm nach. Er lacht nicht. Das war kein blöder Witz. Das war eine Tatsache. »Ist trotzdem ein Scheißjob«, sagt er. »Ich bleibe lieber Kurier.« Erst jetzt fällt mir auf, dass er ein Rennrad unter dem Hintern hat und knappe Leggins über straffen Waden trägt. »Macht's gut«, sagt er, »wir sehen uns!« Er tritt in die Pedale, beschleunigt von 0 auf 50 in fünf Sekunden und verschwindet nach links in die Ebertstraße.
    Wir sehen ihm nach. Die Politikerin steigt in einen vorgefahrenen Wagen, ihr Bedenkenträger wuchtet die Koffer in den Kofferraum.
    »Sollen wir auch ...«, setze ich an, doch Hartmut sagt: »Nein, wir werden keine Bedenkenträger.«
     
    Wir gehen weiter, am imposanten Reichstag vorbei auf den Platz der Republik. Deutschlandfahnen wehen

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