Feindesland
wäre?« Ich schüttele den Kopf.
»Spießertaxen mit guten Darstellern. Taxen, die genauso sind, wie Berliner Taxen es früher waren, bevor ihr mit MyTaxi angefangen habt. Grantige, strunzdumme Fahrer, die echten Smalltalk machen und Olaf Henning tatsächlich geil finden.«
»Gibt es doch. Fahr einfach normales Taxi, ohne uns.«
»Nein, das ist es doch! Die echten Grantier sind zu krass, da fühlt man sich unwohl. Ihr aber seid noch zu kultiviert. Ihr müsst schauspielern, und darin seid ihr nicht gut, sorry! Was ich und viele, die ich kenne, so richtig geil fänden, wären clevere, professionelle Schauspieler, die echt asoziale Fahrer glaubwürdig darstellen. So, dass Fahrer und Gast wissen, dass sie in Wirklichkeit anders sind, die Illusion aber im Raum steht. Das wäre geil.«
»Also so wie Ulli Heinrich in >Klitsche«
»Genau!« Der Medienmensch hüpft auf der Rückbank auf und ab. Thunfischschnipsel fliegen ihm aus dem Mund.
»Klitsche« ist eine mit Preisen überhäufte Fernsehserie, in der ein in Wirklichkeit extrem intelligenter Schauspieler, Kabarettist und Sänger einen asozialen, aber in seiner Tragik tiefgängigen Versager darstellt, der 70 % seines Tages in einer finsteren Spießerkneipe verbringt und an der Theke das Tagesgeschehen so zusammenfasst, wie er es empfunden hat. Die Serie läuft live, ist improvisiert, und seit Jahren schon kauft man dem Schauspieler in dem Moment ab, dass er dieser Typ ist.
»Warte mal, ich habe eine Idee!«, sagt mein Fahrgast. »Die DVDs zur Serie, die hat doch unsere Firma gemacht. Ich kenne den Produzenten, den Agenten, alle. Soll ich die mal fragen, ob der Typ Werbung für MyTaxi machen würde und was das kostet? Während ihr ein Dutzend Schauspieler besorgt, die grantige Fahrer überzeugend spielen können? Die finden sich doch! Berlin ist voll von fähigen, arbeitslosen Darstellern!«
Ich überlege.
Wir gründen gerade eine Familie.
Zwölf Schauspieler, zwölf Taxen, ein teurer Star als Werbeträger, höhere Gehälter. Das sind riesige Investitionen, für die wir neue Kredite benötigen würden, von den Banken, die uns mittlerweile ernst nehmen, und von Frau Mützenmacher, die Subventionen austeilt, weil wir die Menschen aus dem Individualverkehr ziehen. Es ist Arbeit, Aufwand, Papiere. Es gibt mit Sicherheit wieder Gesetze, die zu beachten sind. Hunderte, Tausende.
»Wir machen es!«, sage ich, ohne es geplant zu haben. Die Worte sind mir einfach aus dem Mund gefallen.
Aus dem Funk schaltet sich Hartmut zu: »Fragen Sie den Mann an. Wir machen das wie bei der Firmengründung. Erst mal Werbung, die Umsetzung kann dann später folgen!«
Ich vergesse immer, dass nicht nur ich in die Taxen der anderen horchen kann, sondern auch umgekehrt. Hartmut hat meine Fahrt belauscht. Er fährt fort: »Und wenn wir Ulli Heinrich aus >Klitsche< sagen lassen: >Das Spießertaxi - so wurden sie noch nie angemacht! Ab November, hier in Berlin!<, dann hätten wir noch viele Monate Zeit für die Umsetzung.«
»Das ist ja geil«, sagt der Medienmann und meint damit sowohl das, was Hartmut sagt, als auch die Tatsache, dass er mithören konnte. Junge Leute lieben heutzutage Überwachung.
»Also gut, frag ihn an«, sage ich nun auch, da ich als Teilhaber der Firma mitzuentscheiden habe. Ich schiebe ein »unverbindlich« hinterher, da mir einfällt, dass wir die Frauen noch dazu befragen müssen. Dann bringe ich den Mann zum Jolly Hotel in der Friedrichstraße.
*
Ulli Heinrich aus >Klitsche< hat abgelehnt, einen Werbespot für unser Unternehmen zu drehen, aber zugesagt, in einem kleinen Fernsehbeitrag mitzuwirken. Den hat ebenfalls mein eifriger Fahrgast von neulich eingestielt, weil er ein so großes Interesse daran hat, eines Tages selbst mit den neuen Taxen voller Spießerdarsteller fahren zu dürfen. Wie gut seine Idee ist, hat uns auch Mario bestätigt, der aus Jahren der verdienstfreien Tätigkeit in Werbung, Musik und Fernsehen weiß, wie sehr die Kultur- und Medienschaffenden das Proletarische lieben, solange sie dabei keinen echten Proleten begegnen müssen.
Der Beitrag, den ein hippes, um 23:55 Uhr ausgestrahltes Magazin über uns dreht, ist alles in allem bloß fünf Minuten lang. Der Abschnitt, in dem Heinrich aus >Klitsche< auftauchen wird, hat sogar nur zwei Minuten. Dennoch drehen die Leute vom Sender nun schon seit sieben Stunden daran herum. Es ist bereits das zweite Drehteam, da das erste um Punkt 15 Uhr Kameras, Stifte und Kabel fallen lassen
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