Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
Vom Netzwerk:
jemand, der im Grunde nur sagen will: >Ach menno! Eben haben wir noch geschlafen!<
    »Kann man in seinem eigenen Haus nicht mal in Ruhe ...«, schimpft Hartmut, der sich im Bademantel nähert, nimmt den Zettel, den ich ihm entgegenstrecke, liest und sagt: »O Scheiße.«
    »Ja ...«, sage ich.
    »Mehr Personal«, sagt Veith. »Wir müssen auch die Bürgersteige auf der Gegenseite bewachen. Die Nebenstraßen. Die nächsten vier Blöcke. Am besten wäre es wohl, präventiv in jede Wohnung einzudringen und die Bewohner zum Reden zu bringen.«
    »Veith ...«, sage ich und klopfe ihm beruhigend auf die Schulter wie einem schnaubenden Pferd.
    Gut, der Russe hat geworfen, aber wir hocken nicht mehr in einem Mietshaus wie die Maus in der Falle. Wir hocken in einer Festung, die der Feind nicht betreten kann, so dass er Steine an unzerstörbare Fenster werfen muss. Wir sind alle viel zu müde, um heute noch darüber nachzudenken.
    »Wir reden morgen darüber«, sagt Hartmut, zieht mit den Händen auf Brusthöhe schwungvoll seinen Bademantel enger zusammen, wirbelt herum und flitzt wieder ins Haus, als lasse er sich vom Russen nicht länger als nötig bei der wichtigsten Sache der Welt unterbrechen. Caterina und ich folgen ihm, durch die Büros und rein in das Zimmer, in dem wir ein neues Fundament fürs Leben errichten. Wieder mal. Es sind längst nicht alle Kartons ausgepackt.
     

Dropkick von innen
    Wir bekommen bald ein Kind, und das braucht Vorbereitung. Deshalb fahren Hartmut, Susanne, Caterina und ich zu einer ganz besonderen Privatpraxis am Ufer des Wannsees. Sie wurde uns aus der Ferne von Caterinas Mutter empfohlen, die in einem ihrer Magazine fürs gehobene, alternative Bürgertum einen Bericht darüber gelesen hat. Die Praxis wird von einem asiatischstämmigen Deutschen geleitet, der besonders sanfte Schwangerschaftsbegleitung bis hin zur Wassergeburt anbietet. Diese Methode erscheint Susanne interessant, die scheinbar jetzt, wo Leben in ihr entsteht, ein wenig weicher wird und die Welt nicht mehr nur so logisch und kühl wie ein Autogetriebe betrachtet. Allerdings wird sie durch die Schwangerschaft nicht nur weicher, sondern anscheinend noch begehrenswerter als ohnehin schon. Sie strahlt eine ganz besondere, kraftvolle Aura aus, die Hartmut auf dem Rücksitz des alten Renaults dazu animiert, unablässig an ihr herumzuknabbern, während Caterina und ich vorne sitzen und das Schauspiel im Rückspiegel verfolgen.
    »Jetzt lass doch mal«, sagt Susanne und schiebt ihn von sich.
    Es ist nun Anfang Mai, sie ist im sechsten Monat, und ich stelle fest, dass es im Kinderzimmer seit einiger Zeit ruhiger geworden ist. Eine natürliche Entwicklung, die Hartmut allerdings schwer zu stören scheint. In solchen Momenten merkt man, dass er ein Mann ist, ein Mann aus Fleisch und Blut, sosehr er sonst auch in seinem Kopf lebt.
    Herr Chang empfängt uns mit einem Lächeln, als hätte er seit Jahren auf uns gewartet. Es scheint echt. Er liebt seine Kunden wohl wirklich. Seine Praxis liegt tatsächlich direkt am See. Aus großen Fenstern kann man die Frühlingssonne auf dem Wasser glitzern sehen. Sie hat noch nicht die Kraft, das ganze Land zu erwärmen, also konzentriert sie sich heute auf das kleine Fleckchen Erde, auf dem sich Changs Praxis befindet. An den Wänden befinden sich dunkle Regale mit Fläschchen, Naturheilmitteln und kleinen geflochtenen Körben. Eine Sitzgruppe aus Leder mit flauschigen Kunstfellen darüber. Ein paar ergonomische Liegen aus dunklem Schilfrohr. Hinten, genau im Winkel zwischen zwei Panoramafenstern mit Seeblick: das Becken, in dem die Wassergeburten stattfinden.
    »Das ist ja fast wie im Freien«, sagt Susanne, als sie darauf zugeht, und man weiß nicht, ob sie es positiv oder negativ meint.
    »Es ist befreiender und schöner, wenn das Kind mit dem Blick auf die Natur geboren wird. Sie können bei der Geburt alles sehen ... das Wasser, die Bäume. Sie wiederum kann keiner beobachten, dafür liegt das Haus zu abgeschieden und zu hoch.«
    Susanne lächelt und fährt mit dem Finger über den Rand des Beckens. Sie stellt sich an die Fensterbank und sieht hinaus. Im Hintergrund läuft sehr leise fernöstliche Musik.
    Herr Chang sagt: »Es kommt darauf an, wo wir uns aufhalten. In einem Krankenhaus-OP ohne Fenster, umgeben von Menschen in Kitteln und Wänden aus Beige und Grau, also aus greigen Wänden ... wie sollen Sie da das Gefühl haben, dass es eine Welt ist, in die man das Kind gerne hineinsetzen

Weitere Kostenlose Bücher