Feindesland
das Geheimnis der Kreativität. Während Veith seine komischen Fälle recherchiert, kommt er auf Ideen. Ganz nebenbei. Kollateralideen. Allein, was der Mann alles über unser Rechtssystem weiß. Über Produktgarantien und Design. Über Fabriken in Fernost. Über Strategien, mit denen uns Scheiße verkauft werden soll. Wenn diesem Wahnsinnigen ein USB-Stick aus Materialschwäche kaputtgeht, setzt er eine Schrift gegen den Hersteller in Shanghai auf, die bis in die chinesische Geschichte des 16. Jahrhunderts zurückgeht. Was dabei nebenher abfällt ist mehr wert als das, was manch anderer Texter in einem Jahr zusammendichtet.« Der Aufzug kommt an. Wir steigen im Dachgeschoss aus. »Das Ganze hat nur den Nachteil, dass er paranoid ist. Er sieht auch sonst überall Bedrohungen. Draußen trägt er ständig eine Schreckschusspistole mit sich herum. Er glaubt, jeder wolle ihm was. Im Viertel ist er berühmt für seine Präventivschläge.« »Wie bitte?«, sagt Caterina.
»Kein Witz«, antwortet Milo. »Als ihn ein windiger Typ neulich in der U-Bahn um Feuer gebeten hat, hat Veith ihn mit dem Kopf gegen den Glaskasten der Fahrplanaushänge gerammt. Rauchen sei dort unten schon längst verboten, hat er später dem Richter gesagt, wer da nach Feuer frage, suche doch nur einen Vorwand, ihm nahe zu kommen, um ihn zu bestehlen.«
»Und damit kam er durch?«
»Da sich der Typ, den er ins Glas gerammt hat, als stadtbekannter Taschendieb herausstellte, kam er damit durch, ja.«
Hartmut lächelt still in sich hinein. Milo ahnt nicht, wie gut wir solche Situationen kennen.
»So«, sagt er, »wir haben bei Miller & Associates zwei, wie soll ich sagen, zwei Wellnessbereiche. Einen hier oben unterm Dach, den anderen unten im Kellergeschoss.« Er macht eine Tür auf. Warme Luft schwillt uns entgegen. Sie duftet nach Chlor, Lavendel und Sauna-Aufgüssen. Wir blicken in ein kleines Hallenbad mit Kunstpflanzen und Entspannungsliegen am Beckenrand sowie zwei Saunakabinen. »Unser Pool«, sagt Milo lapidar, als wäre so ein Luxus nicht sensationell. »Schwimmen, abtauchen, planschen, mit neuen Ideen wieder auftauchen.«
Caterina lächelt und schiebt ihre Hand unter meinem Pullover meinen Rücken auf und ab. Milo schließt die Tür wieder, geht ein Stück weiter und öffnet die nächste. Trimmräder, Laufbänder, Butterflys. Beste Qualität. Das Fitnessstudio. Er kommentiert es überhaupt nicht, nickt bloß und schließt wieder die Tür. Das alles scheint ihm so normal, dass es nicht einmal der Worte bedarf. Pool und Studio sind teurer als das Jahreseinkommen aller Bewohner unseres derzeitigen Mietshauses zusammengenommen.
Milo sagt: »Das ist so weit ja üblich, aber wenn ihr ein bisschen ausspannen wollt, dann findet ihr hier unser Aquarium.«
Er öffnet eine Tür am Ende des Flurs. In einem rund 15 Quadratmeter großen Raum hängen junge Werber in Sitzsäcken, haben weiße Fernbedienungsknüppel in der Hand und spielen Tennis auf einer Wii, die ihr Bild mittels eines Beamers an eine vier mal vier Meter große Leinwand wirft. Exotische Fische schwimmen durch die Korallenbänke eines langen, plan in die Wand eingelassenen Aquariums. Mir steht der Mund offen wie den Fischen.
»Ganz ruhig atmen«, sagt Caterina und streichelt weiter meinen Rücken. Dann knibbelt sie einen Pickel auf. Ich zische. Hartmut sieht so aus, als freunde er sich immer mehr mit seinem neuen Job an. Er hat eine höhere Toleranzschwelle, was neumodische Konsolen angeht. Ich muss mich erst mal langsam an die PS 2 gewöhnen. Auf die Wii bin ich mental noch nicht vorbereitet. Ich denke an Jochen und seine Nostalgiewohnung und daran, dass ich in der Musikredaktion eine CD mitgenommen habe, für die ich mich angeblich schämen sollte. Ich werde Jochen ähnlich. Ich werde zu langsam für die Welt.
»Am anderen Ende der Etage«, sagt Milo und führt uns hin, »könnt ihr frische Luft schnappen, ohne durch das Viertel spazieren zu müssen.« Er öffnet eine Terrassentür und führt uns auf das Dach. Es ist komplett ausgebaut. Mehrere Terrassen wurden wie Inseln angelegt, zu denen jeweils Stege führen. Auf einer wurde Rasen gesät und eine kleine Krocketbahn aufgebaut, auf der nächsten ziehen sie Obst und Gemüse. Es gibt Sonnenliegen, eine Kletterspinne und einen Teich.
»Schöner Park, oder?«, sagt Milo. »Und ganz ohne Dealer. Die Berliner könnten neidisch werden, würden sie das sehen. Aber sie sehen es ja nicht. Ist zu weit oben. Wir sind da, wo oben ist.« Er
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