Feindesland
Vorteile. Du kannst bereits verdienen und schauen, ob das hier überhaupt was für dich ist. Wir können dich erst mal als Freiberufler auf Projektbasis bezahlen.«
Hartmut schluckt Kaffee. Er will fragen, was das einbrächte, aber er verkneift es sich. Niemals beim Vorstellungsgespräch das Thema Geld anschneiden. Niemals zeigen, dass man es braucht. Immer so tun, als arbeite man nur, um sich selbst zu verwirklichen. Als käme man niemals auf die Idee, bei gegebener finanzieller Sicherheit einfach den ganzen Tag Blumen zu pflücken. Milo wird schon von selbst daraufkommen.
»Ich teile dich als Texter dem Team von Torsten zu.« Er winkt einem freundlich wirkenden, etwas rundlichen, bescheiden gekleideten Mann an einer der vier Tischinseln den Gang hinab. »Torsten ist erfahren, duldsam, einfallsreich. Ein Skeptiker, ein Wortklauber. Man kann viel von ihm lernen. Du hast schon ein Buch verfasst, wie ich gehört habe? Dann weißt du, wie es ist, wenn der Flow kommt. Such den Flow! Hock nicht den ganzen Tag am Schreibtisch. In der Werbung ist nicht wichtig, wo man sich aufhält, sondern nur, dass die Ideen kommen. Wir haben hier viele Angebote, die den Kopf locker machen.«
Ich ahne, was jetzt kommt. Kommt es wirklich, bin ich beruhigt, denn dann könnte ich es tatsächlich als Regel verbuchen, als erste Verbindlichkeit dieser Stadt.
»Ich zeige es euch einfach mal. Ich führe euch rum!«
Yes, denke ich mir, und freue mich. Es ist schön, wenn wenigstens etwas vorhersagbar ist.
Milo führt uns rum. Zunächst stellt er uns allen Mitarbeitern vor. Die meisten haben die ganze Zeit vier Fenster auf dem Monitor offen. Eines, auf dem sie Grafik gestalten oder tippen, einen Internetbrowser mit Nachrichtenticker, einen ICQ-Chat und eines, in dem iTunes Lieder abspielt. Einige haben Knöpfe im Ohr. Es ist hier erlaubt, während der Arbeit Musik zu hören. Es ist erlaubt, zu chatten und zu twittern. Außer Rauchen ist im Grunde alles erlaubt. Ein Grafiker trinkt Limonadenbier um 9:30 Uhr morgens, »Flavored Iced Strawberry Lemongrass Reciprocal Manor Export Red«. Er versucht sich bereits an Motivgestaltungen für den neuen Erwachsenenbrei. Ich kann mir all die Menschen nicht merken. Nur ein Mann fällt mir auf. Er hat mehrere große Regale um sich herum aufgebaut, die ihn wie einen Schutzwall umgeben. Sein Monitor zeigt nur ein geöffnetes Fenster, und auch sonst fällt mir auf, dass er immer nur eine Tätigkeit gleichzeitig ausführt. Soeben zieht er eine Quittung aus seiner Geldbörse, prüft die Summe, nickt, zieht ein Blatt Papier von einem Stapel, klebt die Quittung mit einem Prittstift darauf und heftet sie in einem der vielen Ordner ab.
Er bemerkt uns und sagt: »Die Quittung war über 25 Euro.«
»Ist gut, Veith«, sagt Milo.
Wir gehen weiter.
Ich frage Milo, was das eben bedeutet hat.
»Veith ist ein wenig, nun ja, neurotisch will ich mal sagen. In den letzten drei Jahren hat er 22 Prozesse geführt. Gegen Internethändler, gegen eBay-Verkäufer, gegen eBay-Käufer, gegen die Telekom, sogar gegen Microsoft. Das Schärfste ist, er war immer im Recht. Hat immer gewonnen.«
»Wie kommt man auf so was?« Wir sind mittlerweile im Treppenhaus angekommen.
Milo drückt auf den Knopf des Aufzugs. »Es ist gar nicht so schräg, wie es sich anhört. Veith lässt sich nichts gefallen. Was wir anderen einfach durchgehen lassen, lässt er nicht im Raum stehen. Handwerker, die Mist bauen. Händler, die schlechte Ware schicken. Internetprovider, die ohne Vorwarnung ihren Server löschen, so dass alle Kunden ihre Foren oder Homepages verlieren. CD-Verkäufer, die Raubkopien versenden. DVD-Player, die exakt einen Tag nach Ablauf der Garantie aussetzen. Veith klagt sie alle kaputt.«
»Und gewinnt immer?«, fragt Hartmut, während sich der Aufzug öffnet.
»Immer«, sagt Milo. »Das liegt daran, dass er vorbereitet ist. Und das ist das eigentlich Schräge. Für jede Quittung über 25 Euro Warenwert legt er einen Ordner an. Einen Ordner für mögliche Prozesse. Wenn er genug Zeit hat, recherchiert er schon mal vorsorglich Präzedenzfälle aus den letzten 20 Jahren. Sammelt alles, was er dazu finden kann, und heftet es ab.«
Wir steigen ein. Der Aufzug bringt uns scheppernd hoch aufs Dach. Er ist alt. Ein ehemaliger Lastenaufzug. Das hier war tatsächlich mal ein Industriegebäude.
»Und ihr lasst den Mann das einfach während der Arbeitszeit machen?«, hakt Hartmut nach.
Milo nickt. »Das ist es eben, das ist
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