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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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kichert, »tschuldigung«, sagt er, »der war billig.«
    Der November flutet die Dachgärten von Miller & Associates mit klarem, vergänglichem Sonnenschein. Auf dem Haus gegenüber tapst ein getigerter Kater in schwindelnder Höhe und tut so, als sei ihm das Blechdach immer noch zu heiß. In alle Richtungen erstreckt sich eine Landschaft aus Dächern. Flache, schräge, bebaute, vermooste. Dächer mit selbstgemachten Aufbauten und Treibhäusern. Dächer, auf deren schwarzer Pappe Klappstühle neben Bierbänken und einfachen Grills von der Tankstelle stehen. Dächer, auf denen Menschen Badminton spielen. Dächer, auf denen offen der Sperrmüll lagert. Alle sind etwas niedriger als das Dach der Agentur und bilden untereinander ein Geflecht, das von hier oben so wirkt, als gäbe es dazwischen gar keine Abgründe mit Straßen und Boden. Als könne man über die Dächer Berlins bis an die Landesgrenze laufen.
    »So viel zu oben«, sagt Milo, klatscht in die Hände und sagt: »Peng! Ratzfatz. Lasst uns runterfahren!«
     
    Der Keller des Backsteingebäudes ist bedeutend dunkler als das Dachgeschoss. In jedem Raum herrscht gemütliche Tiefe, ausgelöst durch Tischlampen, künstliche Fackeln an den Wänden oder LED-Strahler, die in Boden und Decke eingebracht worden sind. Nur ein Raum wird von halogenem Licht geflutet: der Tischtennisraum. Eine Platte steht darin und an der Wand ein Schränk-chen mit Schlägern, Bällen und Ersatznetzen unter einer Tafel mit aktuellen Spielständen.
    »Wir haben hier mehrere kleine Ligen«, sagt Milo. »Tischtennis, Kicker, Wii-Tennis, Wii-Baseball, Poker und Schwimmen.« Ich frage mich, wann sie arbeiten. »Inspiration«, sagt Milo, »Inspiration. Wir sind Künstler. Wenn es mal spät wird, halten wir uns hier auf, kommt mit.« Milo zeigt uns einen Partykeller, der aus Kultgründen so eingerichtet wurde, wie man es aus seiner Kindheit von Onkeln und Tanten kennt. Rote Linoleumtanzfläche mit Discokugel, Sitzecke mit stoffbezogener Holzbank, Theke mit fest in den Boden montierten Hockern. Unter dem Regal mit Gläsern und Flaschen eine große Vinylplattensammlung, rechts neben der Spüle ein DJ-Pult mit zwei Plattenspielern und Crossfader. In der Ecke neben der Tanzfläche thront der Kicker.
    »Geil«, sagt Hartmut, geht hinter die Theke und stöbert im Vinyl. »Guck mal hier«, sagt er zu mir, »die ist unterschrieben von David Bowie.«
    Milo lächelt: »Als er in Berlin war, ja. Wir haben beste Kontakte. Wir können euch alle Karten besorgen, Gästelistenplätze.« Er hält einen Moment inne, schaut zu Caterina, die die Rangliste der Kickerliga über dem Kicker abliest, hebt seine Hand und sagt: »Caterina, wir sind ja jetzt mit dem Rundgang durch. Sei doch so gut, geh schon mal nach oben und sag Mattes, er soll Hartmut die ganzen Zugriffsrechte auf die Server fertig machen lassen, ja?«
    Caterina liest die Liste der Top-Kicker zu Ende, sagt »Okay« und verlässt den Partykeller.
    Wir wollen auch gehen, als Milo sagt: »Hier unten sind schon Feten gelaufen, auf denen haben wir uns alle, tja, wirklich, also wirklich gehen lassen.« Er zieht die Hülle einer Stones-Platte zu einem Drittel aus dem Regal, knibbelt an ihr herum und denkt nach. Dann sagt er: »Wirklich gehen lassen, versteht ihr?« Wir verstehen nicht. Er seufzt, kommt hinter der Theke hervor, schiebt uns aus dem Partykeller und zeigt auf die Tür direkt daneben, die wir noch nicht geöffnet haben. »Ich wollte das nicht vor der Frau erzählen, und ich denke auch, dass es euch nicht betrifft, weil ihr mir treue Seelen zu sein scheint, aber ...«, er fährt sich mit der Hand über Mund und Dreitagebartwange, »hinter dieser Tür könntet ihr euch richtig entspannen. Wenn ihr wollt.« Neben der Tür leuchtet eine kleine Lampe rot auf. »Wir können jetzt nicht rein, weil besetzt ist. So haben wir das geregelt, der Intimsphäre halber.« Wir schauen ihn an wie zwei Yaks aus dem tibetischen Hochgebirge. »Das läuft so«, erklärt er, als hätten wir ihn danach gefragt. »Ihr gebt uns ein Zeichen, dass ihr Erleichterung braucht. Mir oder Mattes. Geht hier zu einer verabredeten Zeit runter, schaltet das Licht aus, macht es euch bequem und wartet. Dann lasst ihr euch verwöhnen. Es bleibt alles anonym und geheim. Das ist ein Darkroom, ja?« Unsere Münder stehen auf. »Hey«, sagt er, »wir reden hier nur über Handjobs. Kleine Erleichterungen. Mehr nicht. Wir haben hier doch keine Prostitution im Haus.« Wir bleiben Yaks. Milo atmet

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