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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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laut durch die Nase aus, wie es Vorgesetzte beim Militär tun, deren Rekruten noch nicht ernsthaft bereit sind, Feinde zu erlegen. »Gut«, sagt er, »vergesst es. Ihr seid treue Hasen. Das ist in Ordnung, wirklich. Es sind alles nur Angebote. Nur Angebote. Zum Lockerwerden. Wenn ihr anders locker werdet, ist es auch gut. Besonders du, Hartmut. Locker werden. Texten. Ideen haben. Ratz-fatz. Peng!«
    Ein Mann ist hinter uns im Flur aufgetaucht. Er ist von eindrucksvoller Statur, trägt einen gepflegten grauen Zehntagebart und hat eine Frisur wie Jean Reno in seinen späten Filmen. Sein Schnauzer ist sehr dezent, seine Brille ist schlicht und recht groß, ein echtes altes Männergestell. Er hat es mit einem Gummiband fixiert, wie es Segler oder Bergsteiger tun. »Hallo Milo! Einer der beiden jungen Männer da muss mein nächster Assistent sein.«
    »Gerd«, sagt Milo. »Ja, das ist dieser junge Mann hier.«
    Ich trete vor. »Steht das auch schon fest?«, frage ich.
    »Kommt drauf an«, sagt Gerd. »Komm mit, dann finden wir's raus.«
    Ich vergewissere mich, dass ich Hartmut mit Milo alleine lassen kann, und folge Gerd durch den Tischtennisraum zur Hausmeisterwerkstatt. Sie ist großzügig bemessen, mit Werkbänken an allen Wänden, einem behaglichen Schreibtisch in der Ecke und einer Couch, über der ein Poster mit einer prächtigen alten Fregatte an die Wand gepinnt ist. Gerd wirft sich in seinen Drehstuhl, nimmt einen uralten kleinen Kassettenrekorder vom Tisch und wirft ihn mir zu. Ich fange das Ding. »Sag mir, warum der nicht läuft«, befiehlt er.
    Ich gehe mit dem Gerät zu einer der Werkbänke, knipse eine Lampe an, schraube es auf, gucke herum, finde den Fehler in der nahezu antiken, analogen Technik, behebe ihn, schraube ihn wieder zusammen und drücke auf »Play«. Es ertönt Barry White.
    Gerd schmatzt, ohne was zu essen. »Gut«, sagt er. »Wie heißen Spannung, Widerstand, Stärke und Leistung beim Strom?«
    Ich überlege kurz, dann sage ich: »Spannung ist Volt, Widerstand ist Ohm, Stärke ist Ampere, und Leistung ist Watt.«
    Gerd kratzt sich hinterm Ohr. »Was sorgt in einem Ottomotor dafür, dass die Kurbelwelle rotiert?«
    »Die Pleuelstange.«
    »Wofür steht das Kürzel HSS bei Bohrern?«
    »Für High Speed Steel«, antworte ich, »Schnellarbeitsstahl.« Gerd leckt sich über die Unterlippe.
    »Was machst du, wenn gleichzeitig im 3. Stock die Sicherung ausfällt, hier ein Lieferant vor der Tür steht und nur noch ein Tag Zeit ist, um sämtliche Schreibtische im Erdgeschoss auszutauschen?«
    »Ich warte ab, was Sie sagen. Sagen Sie nix, weiß ich, dass Sie es unerträglich finden, dass ich nicht selber denke, und mache das Dringendste zuerst, ohne zu fragen.«
    Gerd steht auf und reicht mir die Hand: »Du darfst Du zu mir sagen. Und du hast den Job.«
    »Danke.«
    »Bitte. Wir müssen nur schauen, wie wir das mit dem Geld machen.«
    Ich stoße Luft aus.
    »Ja, ja, ich weiß«, sagt Gerd. »Ich kenne auch noch andere Zeiten. Die Sache ist die: Das Mindestlohngesetz schreibt 10 Euro netto die Stunde vor, in allen Branchen, ausnahmslos. Stellen wir dich fest ein, müssen wir in den Arbeitsvertrag schreiben, dass du nur fünf Stunden am Tag arbeitest. So machen sie es bisher bei den Textern und Grafikern. Kommen Kontrolleure, zeigen sie ihnen das Dach und den Pool und sagen: >Sehen Sie? Unsere Arbeitnehmer sind zwar 15 Stunden am Tag hier, aber 10 davon sind Freizeit.< Die Beamten schauen sich das an, schimpfen über das laue Leben der Kreativen und ziehen wieder ab. In unserem Job hier unten geht das nicht.«
    »Und was machen wir dann?«
    »Unsere Finanzabteilung sagt, steuerlich sei es am sinnvollsten, wenn ich dich als Freiberufler einstelle. Du stellst mir einfach Rechnungen für jedes einzelne Projekt. Offiziell bist du gar nicht ständig hier. Du kommst von außen.«
    »Dann bin ich doch selbständig. Als was denn? Als freischaffender Handwerker?«
    »Weiß nicht. Frag die Finanzleute. Gründe eine Ich-AG.« »Ich hab dann keine Versicherung.«
    »Das weiß ich. Hey, du bist nur Assistent. Ein Ersatzspieler. Du bist Heiko Westermann, nicht Michael Ballack. Versicherungen kann sich ein Arbeitgeber nur noch bei Spielmachern leisten.« Er haut mir auf die Schulter. »Das kriegen wir schon hin. Es gibt immer eine Lösung.«

Ausweichmanöver
    Den ersten Arbeitstag in der Agentur beende ich bedeutend früher als Hartmut und Caterina. Als bloß nach Projekten bezahlter Offiziell-gar-nicht-da-Seiender

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