Feindesland
unters Volk gebracht und das Land mit einem Raster überzogen, an dem die Software in Symbiose mit dem Satelliten erkennen kann, wie teuer die Straße, auf der man fährt, das jeweilige Fahrzeug nun genau kommt. Unter www.fairverkehr.org kann man sein Nutzerkonto einsehen sowie Schätzungen der anfallenden Kosten für eine Fahrt mit dem Wagen X zum Ziel Y kalkulieren und auch die wenigen Straßen finden, die das Ministerium aus Versehen oder aus Kulanz dann doch komplett gebührenfrei gelassen hat. Es handelt sich dabei um ein paar Küstenstraßen hinter Husum sowie zwei spindeldürre, brüchige L-Routen im Osten, kurz vor der polnischen Grenze.
»Die Regierung ist ja wirklich schnell geworden«, sagt Gerd zu dem Mann, der den Einbau überwacht, während er schraubt, den Plastikrahmen andrückt und ich die Plakette anbringe, die noch einmal auf den ersten Blick kenntlich macht, dass dieser Wagen ordnungsgemäß mit dem GNS ausgestattet wurde. Sie kommt neben die Feinstaubplakette. »Ich meine, so richtig schnell«, betont Gerd und lacht dabei wieder sein lebenserfahrenes Seglerlachen. Er segelt tatsächlich, so viel habe ich mittlerweile herausgefunden. »Ich finde es schon bewundernswert, wie eine Regierung noch vorletzten Montag die Stadt in fünf Gebührenzonen einteilen konnte, zwei Tage später beschließt, das Ganze mittels eines viel genaueren Hardware- und Satellitensystems umzusetzen, und dann acht Tage später bereits 40 Millionen Geräte ausliefern kann. Wäre ich kein Hausmeister, sondern Science-Fiction-Autor, würde ich glatt sagen: Die haben das schon seit Monaten geplant, und der Stautag mit den Zonen war nur ein Ablenkungsmanöver.«
»Na, dann ist es ja mal gut, dass Sie kein Science-Fiction-Autor sind«, sagt der Mann.
Das Gerät sitzt, wir schalten es ein, es initialisiert sich. Eine kleine Startermelodie ertönt, »Imagine« von John Lennon, das ist regierungsseits voreingestellt, kann aber durch andere Startertöne ersetzt werden. Das Display zeigt an, dass das Konto für heute 0 Cent beträgt und das Stadtgebiet, in dem wir uns befinden, mit einem Smart exakt 7,6 Cent pro Kilometer kostet.
»Mit einem Opel Astra wären es 9«, sagt der Mann von der Herstellerfirma. »180er-Mercedes zehn, Suzuki Allradjeep 12 und Audi TT 14,2 Cent. So ist das. Bewusstsein wird belohnt.« Er macht eine Notiz in seiner Mappe über den korrekten Einbau und lässt sie sich von Mattes gegenzeichnen.
Mattes sagt, während er flugs seinen Kringel macht: »Danke, Leute. Muss rein. Gleich ist Meeting. Wir kommen voran mit dem Brei. Deine Freundin ist super und dein Freund auch. Eine Bereicherung für die Agentur.« Dann läuft er zur Eingangstür.
»Wie ist das denn mit Krankenwagen?«, frage ich den GNS-Hersteller. »Mit Polizeiautos? Feuerwehr? Behindertenausweis?«
»Alles Ausnahmen«, sagt er. »Es gibt Fahren und es gibt Fahren. Wer fährt, um zu retten, ist nicht betroffen. Wer fährt, um zu fahren, sollte sich ohnehin mal einer Selbstkritik unterziehen.«
»Und Pendler?«, fragt Gerd.
»Pendler zahlen genau wie jeder andere, und das wird dann verrechnet mit einer verminderten Lohnsteuer. Die sich wiederum am Beruf orientiert.«
»Wie bitte?«
»Ja. Man überlegt gerade, die vielen verschiedenen Berufe in Deutschland nach Klassen dahingehend einzuteilen, ob sie der Gemeinschaft nutzen oder doch eher schaden.«
Wir sehen den Mann an, als habe er gerade gesagt, er esse Kaninchen mit Fell und Ohren. Er zeigt keine Spur von Humor. »Ja, was gucken Sie denn so? Es macht doch wohl einen Unterschied, ob jemand mit seinem Wagen zur Herstellung lösemittelhaltiger Lacke oder zur Betreuung der Kleinen in die Kindertagesstätte fährt, oder? Sollte der Lackarbeiter da nicht mehr bezahlen als die Erzieherin? Gerechtigkeit, meine Herren, es geht um Gerechtigkeit.« Er klappt seine Mappe zu. »In diesem Sinne. Viel Spaß mit dem GNS, und denken Sie daran: Laufen ist auch schön!«, sagt er und spaziert zur U-Bahn.
Zwei Stunden später schraube ich gerade mit Gerd an den ausgeleierten Scharnieren der Teeküchenschränke von Crew 3 herum, als in der Etage eine schützenfestlaute, dröhnende Musik ertönt. Es ist »Also sprach Zarathustra«. Mattes springt aus einem gläsern abgetrennten Meetingraum und jubelt, Milo trödelt hinter ihm her, zufrieden lächelnd wie Franz Beckenbauer, als er 1990 nach dem WM-Sieg noch seine einsame Runde um den Platz machte. Hinter den beiden verlässt eine Traube Texter,
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