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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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Doktorandenausflug, Betriebsferien einer Schwestern- und Pflegerstation oder eine Flugzeugbesatzung der Lufthansa. Sie könnten alles sein, was halbwegs zivilisiert ist. Man sieht ihnen an, dass sie daheim Sets für den Esstisch haben. Sets für den Esstisch und flache, an die Wand montierte Stereoanlagen. Sie würden niemals jemanden mit dem Kopf an die Glastür drücken, und hören sie überhaupt jemals Rap, dann Kanye West oder die Fugees.
    Da Susanne und ich vom Fahren ausgelaugt sind, reden wir nicht, sondern trinken nur unseren Tee und warten still auf das Essen. Auch mit Susanne kann man prima schweigen. Ich puste, schaue auf die Kringel im Teewasserspiegel meiner Tasse und belausche das Gespräch der Tischnachbarn.
    »Das waren tolle Tage, das kann man nicht anders sagen.«
    »Ja, in der Tat. Haben wir gut ausgesucht.«
    »Kam einem vor wie drei Wochen, so viel wie wir gesehen haben.«
    »Man kommt sich schon fast vor wie ein Berliner.«
    »Das nun nicht gerade. Und vor allem du mit deinem Berlinern. Das war ja peinlich. Hatten wir nicht klar gesagt: >Es wird nicht berlinert?<«
    »Wie pikiert der Taxifahrer war, als er damit angefangen hat. Wie so'n Chinese, vor dem man sich ständig wie ein Irrer verbeugt, weil man denkt, so könne man sich den Sitten anpassen.«
    »Ja gut, aber seid doch mal ehrlich, die Taxen in Berlin, das war doch das Schlimmste, oder?«
    »Ja ...«
    »Ja.«
    »Ja!«
    »Es gab ja kein einziges, in dem man sich wohlgefühlt hätte.«
    »Der eine Typ mit seinem ständigen Gemecker. Was wir überhaupt in Berlin wollten. Warum man sich diese Stadt überhaupt ansehe. Wie überschätzt sie sei und wie schlimm geworden. Es klang fast so, als würde er dafür bezahlt, Touristen zu vergraulen.«
    »Oder der andere, der uns von der Pfaueninsel abgeholt hat. Was hat der uns eine Frikadelle ans Ohr gelabert. Von den Philippinen, wo er die Hälfte des Jahres verbringt, weil er dort ein kleines Häuschen hat und alles so billig sei.«

    »Und wie glücklich die Leute dort lebten, obwohl sie kaum einen Cent haben. Immer von der Hand in den Mund und ein Lächeln dabei.«
    Einer der Tischnachbarn ahmt die Stimme des Fahrers nach: »>Und bei uns? Was ist bei uns? Alle jammern den ganzen Tag nur herum! Die Steuern, der Rücken, die Nachbarn. Dabei geht es uns so gut!<«
    »Na ja, so nervig er war, damit hat er ja recht.«
    »Ach komm, Maja, das sind doch alles bloß Phrasen.«
    »Ich hasse Smalltalk.«
    »Und ich Schlagermusik.«
    »Au ja! Das war ja auch ein Ding, was? Von Potsdam bis Mitte ein Schlagersender. Ich habe jetzt Ohrwürmer von Marty Kessler und Andrea Berg. Dafür hätte er uns eigentlich noch Schmerzensgeld auszahlen müssen.«
    »Man kann es sich eben nicht aussuchen.«
    »Jetzt steigen wir gleich erst mal in einen Zug. Da muss man keinen Smalltalk mit dem Personal machen, in den Bordkanälen gibt es drei verschiedene Musikstile zur Auswahl, und im Bistro kannst du entscheiden zwischen Apfelkuchen, Chili und Pizza.«
    »Einfache Tiefkühlmargherita für 5,40 Euro.«
    »Das sind fast 11 Mark.«
    »Ich hab Buletten dabei.«
    »Und zu Hause rufen wir sofort ein Taxi.«
    »Und wenn es WDR 4 anhat, steigen wir aus!«
     
    *
     
    Als Susanne und ich nach Hause kommen, werden wir schon erwartet.
    Es gibt eine Stelle in Hartmuts Buch der Unvollkommenheit, da erinnert er sich an seine Zeit als Schulkind. Er beschreibt, wie ihn jeden Tag der Klassenschläger Marco an der Ecke abgefangen hat und irgendetwas als Wegezoll verlangte, ein Salamibrot, ein paar Panini-Bildchen, Kleinigkeiten eben, heute wären es ganze iPods und Digitalkameras. Gab man nichts, bekam man Schläge. Marco wurde nie gemeldet, weil die Lehrerinnen derlei Verleumdungen nicht glauben wollten und weil seine mögliche Rache fürchterlich erschien. Was hier und heute vor unserer Tür steht, ist nichts anderes als eine ausgewachsene Form von Marco, sage ich mir selbst, als ich die zwei Russen sehe. Daran, dass meine Ohren schon wieder glühen, ändert das nichts.
    »Das sind sie«, sage ich, als wir von der Tür noch zwanzig Meter entfernt sind.
    »Die Mafia?« Susanne sagt es, als wäre es keine Tatsache, sondern nur ein Scherz.
    »Ja«, antworte ich, »die Mafia.«
    Ausweichen ist zwecklos. Wir stellen uns dem Feind.
    »Heute mal mit Gattin?«, fragt der große Russe mit den Augenbrauen, der laut Roland wohl Alexej sein muss. Der kleine heißt Patnov. Ich antworte ihm nicht. Er versperrt die Tür. »Bei aller Kulanz«, sagt er,

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