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Feindesland

Feindesland

Titel: Feindesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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schon ein GNS. Allein das Üben kostet uns täglich knapp 80 Euro Maut. Wenn du für jeden Claim, den du schreibst, 100 Euro bekämst, okay. Aber die kriegst du nicht. Also bitte, sei nicht so begeistert!«
    Hartmut schlürft Kaffee und sagt: »Ufft.« Das ist ein gutes Zeichen. »Ufft«, sagt er, wenn er erkennt, dass er sich verfahren hat. Dass er den Tunnelblick bekommen hat, den er immer bekommt, weil er sich auf eine neue Denkweise mindestens fünf bis fünfzig Tage mit Haut und Haar einlässt, selbst wenn diese Denkweise nicht kritische Soziologie oder Stringtheorie, sondern Werbetexterei lautet. Er ist ein Begeisterungsaggregat, eine befristet blindwütige Enthusiasmusmaschine.
    »Ufft«, macht er noch mal.
    »Cevat sagt, die Gang vor der Tür sei von den Russen bezahlt, damit sie allen Mietern Druck macht, die kein Schutzgeld rausrücken. Schutzgeld, von dem Caterina übrigens noch nichts weiß. Susanne meint auch, sie verkrafte so was nicht so gut. Roland sagt, die Türken seien Todfeinde der Russen. Er hat durchscheinen lassen, dass er uns nicht ewig beschützen kann, wenn wir die Einzigen sind, die in dem Haus die Rebellen machen. Als er damals den Rebellen gemacht hat, haben sie ihm seinen Hund geklaut.«
    Hartmut grübelt. »Also meinst du, wir sollten die Russen bezahlen?«
    »Ich meine, dass wir gar nicht da wohnen sollten! Das ist nicht unsere Welt. Das ist doch keine WG, kein Leben so.«
    »Dann suchen wir uns was Neues. Wo's sicher ist.«
    »Wo's sicher ist? Das hier ist Berlin, Hartmut. Das ist Feindesland. Hier ist es nirgendwo sicher. Im Grunewald vielleicht oder in Potsdam. Günter Jauch kann sich dort das Wohnen leisten. Und dann die Regierung. Ich habe so das Gefühl, die City-Maut ist nicht das Letzte, was sie einführen werden. Die lassen einen nicht in Ruhe. Die sind da ganz wie der Russe. Wir haben drei Monate Kündigungsfrist. Selbst wenn wir jetzt in den Sack hauen, haben wir vier Monate Schulden in der >zweiten Miete< bei den Russen. Die lassen die uns nicht durchgehen, schon aus Prinzip nicht. Sagt Roland. Die dürfen keine Schwäche zeigen. Die haben schon jemandem ein Ohr abgeschnitten für vier Monate >Mietrückstand<. Einen Finger für sechs Monate. Einen Daumen für ein Jahr. Die Daumen lassen sie die Albaner machen, das lagern sie aus. Outsourcing der Drecksarbeiten, da sind sie ganz modern.«
    Hartmut schüttet den Kaffee weg, als möge er ihn nicht mehr. »Also, was machen wir?«, sagt er. »Wenn ich das Projekt, das sie mir hier mitzumachen erlauben, hinwerfe, sind sie tödlich beleidigt und ekeln Caterina auch raus. Wenn wir wegen der Russen zur Polizei gehen, sind die tödlich beleidigt und machen uns die Hölle heiß, noch bevor irgendein Prozess losgeht.«
    »Geld!«, brülle ich und schlage dabei gegen den Kaffeeautomaten, der erschrocken hustet und röchelt. »Wir brauchen einfach Geld. Wer Kohle hat, muss nicht mehr darauf achten, ob irgendjemand tödlich beleidigt ist!«
    Ich bin selber erstaunt über meinen Zorn. Ich ertrage es einfach nicht, Hartmut bloß reagieren zu sehen. Wenn Hartmut nicht agiert, geht alles den Bach runter. Dieses Energieloch kann dann keiner füllen. Ich lasse ihn stehen, stampfe die Treppe hinab, sage Gerd, dass ich bei einer Tageseinnahme von 40 Euro heute Schluss mache, und fahre nach Hause, um mit Susanne die Taxistrecken zu trainieren.
     
    Zehn Tage Training, und Susanne hat schon verdammt viel drauf. Wir tauschen die Plätze; ich nenne ihr Schlüsselpunkte, die sie auf optimalem Weg ansteuern muss. Mal liegen sie ganz nah beieinander, mal an entgegengesetzten Enden der Stadt. Immer wenn ich kurz davor bin, ihr einen kleinen Tipp zu geben, nimmt sie die rechte Hand vom Steuer, sagt »Pssst!«, denkt bei Tempo 35 konzentriert nach und hat es dann. Nach fünf Stunden ist es Zeit für den Feierabend. Den erlauben wir uns selbst konsequent, da wir gelernt haben, dass endloses Arbeiten in dieser Welt nicht mehr automatisch zu Reichtum und Glück führt. Außerdem braucht das Erlernte Zeit zu sacken. Da wir ohnehin auf der Bülowstraße sind, fahren wir durch bis zum Zoo, parken dort und setzen uns im Bahnhof vorne in das thailändische Restaurant. Wir bestellen. An zwei zusammengeschobenen Tischen neben uns sitzt eine Reisegruppe. Menschen in unserem Alter und knapp darüber, acht Personen, leger gutgekleidet. Kaschmirpullover und Jacketts über knitterfreien Shirts, rote Jacken mit Halstüchern. Absolventen einer Universität vielleicht,

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