Feindesland
Sache. In drei Stunden schaffen wir Mitte und seine direkte Peripherie, dann erweitern wir die Schlenker, bis wir hinter der Unterführung des S-Bahnhofs Pankow in einem massiven Stau landen. Es ist mittlerweile 21 Uhr, der Feierabendverkehr müsste eigentlich verebbt sein, außerdem führt dieser Weg wieder in die City hinein und nicht aus ihr heraus. Die Autos rollen im Schritttempo, immer mehr von ihnen hupen, schließlich steht alles. Die Menschen steigen aus ihren Wagen, gehen auf den Bürgersteig und recken sich, um auf der leicht ansteigenden Straße irgendeinen Grund zu erkennen für das, was passiert. Polizisten gehen zu Fuß an der langen Schlange der Autos entlang, bitten die Fahrer, ihre Fenster herunterzulassen, nehmen ihre Mützen ab und erklären etwas. Junge Menschen in T-Shirts, auf denen Blumen abgebildet sind, schwärmen aus, anscheinend von der Polizei ermutigt, um Faltblätter an die Autofahrer zu verteilen.
»Was haben sie jetzt wieder erfunden?«, fragt ein Geschäftsmann, der aus dem Audi Avant vor uns ausgestiegen ist.
Eine junge Frau geht auf ihn zu, gibt ihm ein Faltblatt, reicht auch uns eines ins offene Fahrerfenster und sagt: »Gute Nachrichten! Die Luft in Berlin wird ab sofort besser. Die Regierung tut endlich ernsthaft etwas für die Umwelt!«
Ich zeige Susanne das Faltblatt. »Gut für die Umwelt. Gut für die Menschen. Die City-Maut! Alles, was Sie wissen müssen.«
Der Geschäftsmann sagt: »Das ist nicht euer Ernst, oder?«
Susanne sagt nichts, denkt aber das Gleiche. Der Geschäftsmann schimpft mit der kleinen Umweltaktivistin, die sich endlich über ihre Regierung freuen kann oder direkt von der Parteijugend geschickt wurde: »Wann wurde das denn beschlossen? Gestern? Heute Morgen? Vor einer Stunde?«
»Genau«, quiekt die Frau, »heute Morgen! Heute Morgen wurde das beschlossen. Ist das nicht wunderbar? Endlich werden wichtige Entscheidungen nicht mehr monatelang hinausgezögert und auf irgendwelchen Klimakonferenzen zerredet. Endlich wird entworfen, beschlossen und umgesetzt in nur 24 Stunden!« Sie freut sich wirklich darüber. Sie hat ganz rote Wangen.
Wir lesen in dem Faltblatt. Die neue City-Maut berechnet sich nach der Befahrungsdichte der Straßen und Gebiete. Dort, wo ohnehin zu viel los ist, wird das Fahren teurer. Dort, wo nichts los ist, ist es zum Spottpreis zu haben. Sie haben Berlin ähnlich wie im öffentlichen Nahverkehr in fünf Zonen unterteilt. Im Landkreis Barnim herumzugurken kostet bloß 2 Cent pro Kilometer, im Zentrum legt man ab sofort 10 Cent auf den Tisch. Und ab sofort heißt ab sofort. »Die oberste Prämisse unseres Handelns wird somit effizient auf den Verkehr übertragen«, lässt sich eine Ministerin in dem Faltblatt zitieren, »er wird gerecht und gleichmäßig auf alle Gebiete verteilt.« Unterzeichnet ist das Bürgerinformationsblatt vom Oberbürgermeister, seinen unteren Rand ziert eine Bordüre aus Logos von Parteien, Umweltorganisationen, Gewerkschaften, der evangelischen Kirche sowie dem Moralministerium, das bereits ein eigenes Maskottchen hat: einen lachenden Löwen mit Kulleraugen und scharfen Zähnen, auf dessen T-Shirt der Slogan »Do the right thing!« steht.
Ein Beamter erscheint im Fenster: »Guten Abend!«
Er betont diese Begrüßung enthusiastisch und macht eine kurze Pause, als erwarte er, dass wir jubeln: >Ja, guten Abend, ein Staatsdiener ist da und bietet uns jetzt Programm! Wir freuen uns! Wir fiebern ihm entgegen! Wir scharren mit den Hufen! Wir haben ein Theaterabo!<
»'n Abend«, sage ich.
»Ich sehe, Sie haben sich schon mit der neuen Maßnahme beschäftigt.« Susanne knetet das Faltblatt. »Es ist nun so«, sagt der Beamte, »die Bezirke zwei bis fünf sind heute und auch noch morgen von der Regel ausgenommen, da das Ganze ja überhaupt erst mal an die Bevölkerung kommuniziert werden muss. Der Innenstadtbereich ist allerdings schon heute dran. Die Regierung sagt, jetzt, wo sie das Richtige tut, muss das Richtige auch unverzüglich und ohne Kompromisse getan werden. Das sind wir unserem Planeten schuldig.«
»Deswegen sind auch Aggro und Optik schon in die Schweiz ausgewandert«, sage ich. »Weil alles jetzt so schnell gehen muss. Haben die deshalb die City-Maut eingeführt? Weil ihnen wegen ihrer Aggrosteuer die Plattenfirmen flüchten?«
»Wie bitte?«
»Diese Stadt lebt von Aggressionen«, sage ich. »Wenn man die Firmen raustreibt, die damit handeln, verliert man Kohle, statt mehr einzunehmen.«
Der
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